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Inkontinenz: Falsche Scham macht das Leben unnötig schwerDr. Anna Kolterer zeigt der Patientin Edeltraut M. das Bändchen, das spannungsfrei um die Harnröhre gelegt wird, um diese bei Belastung zu stabilisieren.
03. November 2017

Inkontinenz: Falsche Scham macht das Leben unnötig schwer

Mit ausgereiften Therapiestrategien lassen sich bei vielen Patienten die Probleme der Harn- und Stuhlinkontinenz in den Griff bekommen / Informationsabend am 8. November

Im Vorfeld des am 10. und 11. November 2017 in Dresden stattfindenden Kongresses der Deutschen Kontinenz Gesellschaft e.V. informieren Experten am Mittwoch, dem 8. November, ab 17.30 Uhr, Betroffene und Angehörige bei einem Patientenforum über die Ursachen für Harn- und Stuhlinkontinenz und deren gezielte Behandlung. Gastgeber der kostenlosen Veranstaltung im Hörsaal des Universitäts Kinder-Frauenzentrums (Haus 21) sind die beiden am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden tätigen Klinikdirektoren Prof. Pauline Wimberger (Frauenheilkunde und Geburtshilfe) und Prof. Manfred Wirth (Urologie), die als Kongresspräsidenten das Programm der wissenschaftlichen Tagung verantworten. Die beiden Experten haben den Kongress unter das Motto „Kontinenz verbessern – Lebensqualität erhöhen“ gestellt, wozu auch eine gezielte Aufklärung der Öffentlichkeit gehört. Denn die Inkontinenz ist immer noch ein Tabuthema: Betroffene vertrauen sich oft nicht einmal ihren Ärzten an, wenn sie ihren Urin oder ihren Stuhl nicht immer halten können.

Obwohl Inkontinenz eine Volkskrankheit ist, sprechen nur wenige Betroffene darüber – lieber nehmen sie Einschnitte in der Lebensqualität in Kauf. Edeltraut M. hat sich lange damit abgefunden, dass sie ihren Harn nicht mehr halten konnte, wenn sie nach dem Einkauf vollbepackt die Treppen zu ihrer Wohnung hochstieg. „Das gehört eben dazu, wenn man älter ist“, redete sie sich ein. Die einzige Lösung: weniger trinken und häufiger zur Toilette gehen. Deshalb begann für die heute 79-Jährige der Gang durch die Innenstadt immer auf einer der raren öffentlichen Toiletten. Während diese Vorsichtsmaßnahme lediglich den Alltag deutlich einschränkt, ist das reduzierte Trinken geradezu gefährlich: „Wenn Patienten stärkere Medikamente einnehmen müssen und über den Tag zu wenig trinken, kann es lebensgefährlich werden“, sagt Dr. Anna Kolterer. Die Oberärztin leitet die Urogynäkologische Sprechstunde der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Dresdner Uniklinikums und sieht dabei viele betroffene Frauen mit solchen Vorgeschichten.

„Es war ein schleichender Prozess, die Symptome wurden immer schlimmer“, berichtet Edeltraut M. Irgendwann reicht es, einfach nur einmal zu nießen – und schon passierte ein Malheur. Anders als andere Frauen, fasste sich die selbstbewusste und sehr agile Seniorin schließlich ein Herz: Sie sprach ihren Urologen an, der sie sofort ans Uniklinikum überwies. So saß sie Anfang des Jahres Dr. Kolterer gegenüber, die erst einmal ein gezieltes Untersuchungsprogramm startete, um die Ursache der Inkontinenz herauszufinden. Die Fachärzte unterscheiden zwischen einer Belastungs- und einer Dranginkontinenz. Bei ersterer führen Belastungen im Bereich des Beckenbodens – etwa durch schweres Heben, Treppensteigen, Nießen oder auch schnelles Gehen dazu, dass Betroffene ihren Urin nicht mehr halten können. Schuld ist häufig eine Veränderung der Muskeln in diesem Bereich. Grund ist das Alter aber auch die Belastung durch eine oder mehrere Geburten.

Bei der Dranginkontinenz müssen Betroffene viel häufiger als normal zur Toilette gehen – also mehr als acht bis zehn Mal an einem Tag. Weil sie aufgrund des ständigen Harndrangs nicht mehr durchschlafen können, weil sie mehrfach aufstehen müssen, fühlen sie sich tagsüber zusätzlich müde und zerschlagen. Die Ursachen für diese Form der Inkontinenz liegen entweder in einer gestörten Funktion der inneren Schleimhaut der Harnblase oder im zentralen Nervensystem und lassen sich oft mit Medikamenten gut behandeln. Die Schleimhaut oder das Nervensystem lösen eine „Überaktivität“ der Blase selbst oder deren Muskulatur aus und senden vermehrt Harndrang-Reize ans Gehirn. Das Gleichgewicht zwischen den Reizen, welche die Blase anregen oder hemmen, ist gestört. Folge ist ein vermehrter Harndrang.

Bei Edeltraut M. diagnostizierte Dr. Kolterer eine Belastungsinkontinenz. Erste Gegenmaßnahme ist in diesem Fall das Training des Beckenbodens. Gezielte Übungen, angeleitet von spezialisierten Physiotherapeuten können das Problem mildern. Allerdings braucht es dazu Hartnäckigkeit und Geduld. Bevor die Übungen Erfolg zeigen, vergehen wie bei jedem anderen Muskeltraining drei bis sechs Monate. Und wer damit wieder aufhört, wird den positiven Effekt auch verlieren. Andererseits können Medikamente die Beckenbodenmuskulatur stärken. Die Kombination aus Beckenbodentraining und medikamentöser Therapie hat gerade bei jüngeren Frauen gute Effekte. Bei Edeltraut M. fiel die Entscheidung jedoch auf eine kleine Operation, bei dieser wird ein kleines Band spannungsfrei um die Harnröhre gelegt, um diese bei Belastung zu stabilisieren. Auch das hilft vielen Frauen, den Harn trotz einer Belastung zu halten.

Der minimalinvasive Eingriff dauert in der Regel nur 20 bis 30 Minuten. Nach drei Tagen konnte die rüstige Dresdnerin das Uniklinikum verlassen. „Hätte ich das nur früher machen lassen“, sagt sie heute. Nicht nur dass der Toilettenbesuch nicht mehr im Mittelpunkt eines Stadtbummels steht. Sie kann ohne Bedenken Treppen steigen oder Fahrrad fahren – und sie traut sich auch wieder ins Fitnessstudio. Allerdings hebt sie dort keine Gewichte, sondern trainiert ihren Rücken und die Beckenbodenmuskulatur. Was ihr bleibt, ist ein geschulter Blick. So sieht sie sofort den dunklen Fleck in der Hose von Frauen, die gerade eine Treppe hochsteigen. Einige davon hat sie auch schon angesprochen und ihnen erzählt, dass es Hilfe gibt, wenn man seinen Arzt offen auf das Problem anspricht.

„Aber nicht nur Frauen leiden an einer Harninkontinenz, auch Männer sind gerade nach Operationen betroffen“, bestätigt Prof. Manfred Wirth, Direktor der Klinik für Urologie am Dresdner Uniklinikum. Hier kann ein Gespräch mit einem Fachmann der Urologie Abhilfe schaffen und die entsprechende Diagnostik und Therapie eingeleitet werden. Selbiges gilt für Patienten die unwillkürlich Winde oder sogar Stuhl verlieren – hier sind in der Regel Koloproktologen die richtigen Ansprechpartner.

Patientenforum vermittelt Wissen und weckt Zuversicht Die Deutsche Kontinenz Gesellschaft, die hinter dem Dresdner Kongress steht, will das Tabuthema Inkontinenz überwinden und die Behandlung von Menschen mit Inkontinenzerkrankungen verbessern. Weil die Betroffenen zuweilen die Übersicht über die Ansprechpartner und die vielfältigen Behandlungsoptionen verlieren, setzt die Fachgesellschaft auf die Aufklärung der Betroffenen und ihnen nahestehende Personen. Selbst wenn das Leiden als medizinisch austherapiert gilt, können diese Patienten dank guter Hilfsmittel fast unbehindert am täglichen Leben teilhaben. Um dieses Wissen zu vermitteln und Zuversicht zu wecken, lädt die Gesellschaft Patienten und Interessierte zu einem öffentlichen Patientenforum ein,

am Mittwoch, dem 8. November 2017, um 17.30 Uhr, im Hörsaal des Universitäts Kinder-Frauenzentrums (Haus 21), Fetscherstraße 74, 01307 Dresden (Eingang über die Hauptpforte Fiedler-/Ecke Augsburger Straße beziehungsweise über die Pfotenhauerstraße)

Nach der Begrüßung durch Prof. Pauline Wimberger gibt es bei der kostenlosen Veranstaltung folgende Vorträge:

17:35 Uhr – Harninkontinenz der Frau – Ursachen und Formen, Therapie(Dr. Anna Kolterer, Leiterin der Urogynäkologischen Sprechstunde, Klinik für  Frauenheilkunde und Geburtshilfe)

18:00 Uhr – Harninkontinenz des Mannes (Oberarzt PD Dr. Stefan Propping, Klinik für Urologie)

18:30 Uhr – Stuhlinkontinenz: Ursachen, Formen und Therapie (Dr. Jakob Dobroschke, Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie )

19:00 Uhr – Hilfsmittelverordnung – Blasen- und Darmmanagement: Wem steht was zu? (Susanne Dörfler, Krankenschwester und Fachkraft für Stoma-, Kontinenz- und Wundversorgung)

19:30 Uhr – Physiotherapie: Motivation zur Selbsttherapie (Ina Lautenbach und Ilena Trepte Universitäts Physiotherapiezentrum)

Ab 19:45 Uhr – Gelegenheit zur Diskussion und Erfahrungsaustausch

Bildtext Dr. Anna Kolterer zeigt der Patientin Edeltraut M. das Bändchen, das spannungsfrei um die Harnröhre gelegt wird, um diese bei Belastung zu stabilisieren. Foto: Uniklinikum Dresden /Holger Ostermeyer

Weitere Informationen www.kontinenz-gesellschaft.de

Kontakt für Journalisten
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Dr. med. Anna Kolterer
Tel.: 0351 458-67 28
E-Mail: anna.kolterer@uniklinikum-dresden.de
www.uniklinikum-dresden.de