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Überschüssiges Hirnwasser sorgt für typische AlterserscheinungenSeitliche Röntgenaufnahme des Schädels eines Patienten, bei dem ein Shuntsystem implantiert worden ist.
26. Januar 2016

Überschüssiges Hirnwasser sorgt für typische Alterserscheinungen

Kombination aus Vergesslichkeit, schlurfendem Gang und leichter Inkontinenz ist Indiz für gut behandelbaren Altershirndruck / Operation kann Lebensqualität erhöhen / Neurochirurgen des Uniklinikums starten Informationsoffensive

Die Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden veranstaltet am morgigen Mittwoch (27. Januar) einen Informationsabend, um ärztliche Kollegen aus ganz Sachsen auf die Anzeichen und Behandlungsmöglichkeiten des Altershirndrucks hinzuweisen. Unter dem Titel „Ohne Demenz, Gangstörung und Inkontinenz durchs Alter – Normaldruckhydrocephalus rechtzeitig erkennen“ sprechen die Dresdner Neurochirurgen über die oft übersehene Kombination der Symptome und die Möglichkeiten, mit einer Operation das überschüssige Hirnwasser mit einem in den Bauchraum führenden Schlauch dauerhaft abzuleiten und damit eine Schädigung des Gehirns zu vermeiden.

„Herr Konrad*, ein 67 Jahre alter Akademiker stellte sich im Oktober 2014 in unserer neurochirurgischen Ambulanz vor. Seine Symptome waren beginnende Demenz im Sinne von Kurzzeitgedächtnisstörungen mit Harninkontinenz und einer sichtbaren Gangstörung“, sagt Prof. Dietmar Krex, geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie des Dresdner Uniklinikums. Diese Symptomkombination, genannt Hakim-Trias, sehen die Spezialisten der Klinik häufiger bei über 60-Jährigen. „Demenz, Inkontinenz und ein breitbeiniger, schlurfender Gang während des ‚Altwerdens‘ sind nicht der Ausdruck des Alterungsprozesses sondern stellen einen behandelbaren Symptomenkomplex dar. Je früher wir mit einer Therapie beginnen, desto besser sind auch die Erfolgsaussichten“, erklärt Prof. Krex die Anzeichen. Auch medizinische Laien können sie gut erkennen und sollen deshalb ebenfalls auf diese Erkrankung aufmerksam gemacht werden.
(* Name geändert)

Das Krankheitsbild, das sich dahinter verbirgt, heißt kurz NPH: Normalpressure Hydrocephalus oder deutsch: Normaldruckhydrocephalus. Der NPH kann jedoch auch mit anderen degenerativen Erkrankungen wie zum Beispiel Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson einhergehen. Da die meisten Patienten älter als 60 Jahre sind, sprechen die Ärzte auch von „Altershirndruck“. Die Ursachen sind bis heute nicht ausreichend erforscht. Es wird aber vermutet, dass in Deutschland etwa 80.000 über 60-Jährige daran leiden. Experten gehen davon aus, dass etwa jeder zehnte Demenzkranke eigentlich unter NPH leidet.

Herr Konrad hatte eigentlich Glück, denn anders als bei vielen anderen wurde bei ihm bereits vor gut fünf Jahren in einer anderen Klinik erstmals die Diagnose Normaldruckhydrocephalus gestellt. „Seither erfolgten immer wieder Liquorablasspunktionen, also das Ablassen überschüssigen Hirnwassers durch eine Punktion des Rückenmarkschlauches in Höhe der Lendenwirbelsäule. Danach verbesserte sich jeweils sein Gangbild. Diese Störung in Form einer Kleinschrittigkeit und „des Klebens der Füße auf der Erde beim Laufen“ kam jedoch nach wenigen Wochen wieder. „Zuletzt blieb das Ablassen des Hirnwassers ohne den gewünschten Effekt, so dass sich der Patient in unserer Klinik vorgestellt hat“, so Prof. Krex. Die daraufhin gemachten Aufnahmen des Gehirns mit einem Magnetresonanztomografen (MRT) zeigten, dass alle inneren Hirnwasserkammern erweitert waren. „Ein eindeutiges Bild. Die Zusammenschau der Krankengeschichte, der Symptome und der sichtbar gemachten Strukturen und Formen des Gehirns, bestätigten uns die Diagnose eines Normaldruckhydrocephalus, so dass wir dem Patienten eine Operation anboten.“

Die Therapieoption der ersten Wahl war auch bei Herrn Konrad eine neurochirurgische OP: Im Gehirn wird täglich Hirnwasser gebildet, das aufgrund des begrenzten Kopfvolumens jedoch kontinuierlich ablaufen muss. Die dafür notwendigen natürlichen „Ablaufkanäle“ sind bei Patienten mit NPH gestört. Deshalb schafft das Team um Prof. Krex eine „Umleitung“ von den inneren Hirnkammern zum Bauchraum, in dem das überschüssige Hirnwasser problemlos vom Körper abgebaut wird. Bei einer rechtzeitig erfolgenden OP profitieren mehr als 90 Prozent der Patienten von diesem Verfahren.

Herrn Konrads Zustand besserte sich bereits unmittelbar nach der Operation deutlich: Sein Gangbild war sichtbar flüssiger, sicherer – er konnte mit weiter ausgreifenden Schritten gehen, wies eine höhere Stabilität der Körperhaltung auf und seine Neigung zu fallen, war deutlich zurückgegangen. Herr Konrad und seine Frau berichteten auch, dass sich die Harninkontinenz sowie seine geistige Leistungsfähigkeit ebenfalls deutlich verbesserten“, berichtet Prof. Krex, der mit seinem Team bereits eine Vielzahl an NPH-Patienten operiert hat.

„Aktuell können wir den Normaldruckhydrocephalus nicht heilen. Jedoch führt das rechtzeitige Erkennen und Behandeln der Krankheit zum Ausbleiben beziehungsweise zum deutlichen Rückgang der Beschwerden. Dadurch lässt sich die Lebensqualität sichtbar verbessern. Und das ist die gute Nachricht, mit der die Betroffenen im Alter häufig gar nicht rechnen“, sagt Prof. Krex.
Die hausärztliche Rolle bei der Erkennung der NPH und die richtige Zuweisung der Patienten in die entsprechenden neurochirurgischen Zentren sind unverzichtbar. Bei einer Demenz, Harninkontinenz und Gangstörung sollten alle Mediziner neben degenerativen Erkrankungen auch den Normaldruckhydrocephalus in die differentialdiagnostischen Überlegungen mit einbeziehen. Deshalb entschloss sich die Klinik für Neurochirurgie, eine Informationsoffensive zu starten und vor allem für ärztliche Kollegen mit eigener Praxis die Veranstaltung „Ohne Demenz, Gangstörung und Inkontinenz durchs Alter – Normaldruckhy¬drocephalus rechtzeitig erkennen“ anzubieten, die am morgigen Mittwoch (27. Januar) im Medizinisch-Theoretischen Zentrum der Hochschulmedizin Dresden, Fiedlerstraße 42, 01307 Dresden stattfindet.

Bildtext
Seitliche Röntgenaufnahme des Schädels eines Patienten, bei dem ein Shuntsystem implantiert worden ist. Das hier sichtbare Ende des Schlauchsystems reicht in die inneren Hirnkammern während das andere Ende bis in den Bauchraum geführt wird (nicht abgebildet) Über die kreisförmigen Ventileinheiten wird der Abflusswiderstand des Hirnwassers reguliert. Foto: Uniklinikum Dresden

Weitere Informationen
www.uniklinikum-dresden.de/NCH

Kontakt
Universitätsklinikum Dresden
Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie
Direktorin: Prof. Dr. med. Gabriele Schackert
Tel. 0351 458-28 83
E-Mail: