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Elektrostimulation: Kribbeln statt brennendem SchmerzNeurochirurg Dr. Tareq Juratli zeigt seiner Patientin Sylvia Hesse ein Modell der implantierten Batterie. - Sylvia Hesse vergleicht die Größe mit der Fernbedienung, über die sie die Intensität der Elektrostimulation steuert.
06. Juli 2016

Elektrostimulation: Kribbeln statt brennendem Schmerz

Neurochirurgen des Uniklinikums setzen bei schwer behandelbaren Schmerzen auf gezielte Stimulation des Rückenmarks / Etablierte Therapie zu selten bekannt

Dank der rückenmarksnahen Elektrostimulation (englisch: Spinal Cord Stimulation – SCS) können die Experten der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden ausgewählten Patienten mit Rücken- und Nervenschmerzen – Neuropathien – nachhaltig helfen. Seit 1995 werden am Uniklinikum SCS-Systeme implantiert. Über Elektroden regen diese bestimmte Nervenfasern entlang des Rückenmarks an und unterdrücken so die Weiterleitung von Schmerzmeldungen ans Gehirn. Diese Behandlungsmethode ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden und wird erst dann erwogen, wenn sich mit anderen Therapieformen keine Besserung erzielen lässt.

Bei der rückenmarksnahen Elektrostimulation werden über einen kleinen Eingriff Elektroden implantiert, die elektrische Impulse von geringer Spannung epidural – über die harte Hirnhaut des Rückenmarks – an die Hinterstränge des Rückenmarks abgeben. Auf diese Weise lassen sich Missempfindungen und Schmerzen, die über diese Nervenbahnen ins Gehirn gelangen, unterdrücken. Die Experten der Klinik für Neurochirurgie haben auf diese Weise bereits vielen Patienten helfen können. So auch Sylvia Hesse. Die heute 50-Jährige erlitt vor mehr als 15 Jahren einen schweren Bandscheibenvorfall. Eine Operation konnte ihr die Schmerzen nur knapp drei Jahre nehmen. Die Ärzte bekamen den heftigen Schmerz danach weder durch weitere Therapien noch durch starke Medikamente in den Griff. Verstärkt wurde das Leiden durch Veränderungen eines Wirbels. Zwar ließ sich diese zusätzliche Schmerzquelle durch eine zweite Operation ausschalten, doch danach sorgte Narbengewebe dafür, dass Sylvia Hesse weiterhin litt.

"Das waren brennende Schmerzen vom unteren Rücken bis zu den Zehen“, erinnert sie sich. Ihr Leben drehte sich nur noch um die Angst vor noch stärkeren Schmerzattacken. An eine reguläre Arbeit als Altenpflegerin war nicht mehr zu denken. Erst vor sechs Jahren erfuhr sie von der Rückenmarkstimulation. Und schnell stellten die Neurochirurgen des Uniklinikums fest, dass bei ihr die Erfolgschancen dieser Methode gut waren. So entschied sich Sylvia Hesse für eine OP. Dabei wurde ihr über einen kleinen Schnitt am Rücken eine Elektrode am  Rückenmark implantiert. Hinzu kam ein kleiner, ebenfalls implantierter Impulsgeber. Mit einem Handgerät kann die Patientin die Stärke der Stimulation selber einstellen. Die Elektroden des SCS senden elektrische Impulse geringer Intensität aus, um bestimmte Nervenfasern entlang des Rückenmarks anzuregen. Auf diese Weise werden Schmerzmeldungen nicht mehr an das Gehirn übertragen. Dank der elektrischen Impulse spüren die Patienten anstatt des Schmerzes ein angenehmeres Kribbeln oder eine Empfindung wie bei einer Massage – der sogenannte Parästhesie-Effekt tritt ein.

„Die Schmerzen sind da, aber sie treten in den Hintergrund“, schildert Sylvia Hesse den Effekt. Die SCS schalte den Schmerz im Kopf ab. Ein Befreiungsschlag für die 50-Jährige: Heute braucht sie kaum noch Medikamente, kann ganz normal ihre Hausarbeit verrichten und sich um ihre beiden erwachsenen Kinder kümmern. Da das Schmerzempfinden am Morgen häufig geringer als abends ist, braucht sie den Stimulator auch nicht den ganzen Tag angeschaltet lassen. Trotzdem spürt die Schönaerin, die heute in Bayern lebt, die Elektroden im Rücken. Eingeschränkt ist sie dadurch nur, dass sie extreme sportliche Belastung unterlassen und die Nähe zu stärkeren elektromagnetischen Feldern – etwa Induktionskochherde – meiden sollte. Auch muss sie alle acht Tage den implantierten Impulsgeber aufladen. Dass Sylvia Hesse nach sechs Jahren zurück in die Klinik für Neurochirurgie des Dresdner Uniklinikums kam, lag daran, dass die Batterie erschöpft war. Deshalb implantierten ihr die Neurochirurgen Anfang April unter lokaler Betäubung ein neues Gerät.

Eine Erst-Implantation des SCS erfolgt in zwei Schritten: Nachdem die Spezialisten entschieden haben, dass ein Patient für die Stimulation geeignet ist, testeten sie die Rückenmarkstimulation bei ihm. Dazu werden erst einmal nur die Elektroden implantiert. Dies geschieht unter laufender Röntgenkontrolle, um die richtige Position der Elektroden zu finden. Parallel wird getestet, ob die elektrische Stimulation die Schmerzgebiete des Patienten erreicht. Dazu schließen die Neurochirurgen bereits während des Eingriffs die Elektrode an einen externen Stimulator an. Um die Elektroden optimal platzieren zu können, muss der Patient bei vollem Bewusstsein sein. Allerdings sind an diesem Eingriff Narkoseärzte beteiligt, so dass die Implantation schmerzfrei verläuft. Nach erfolgreichem Test wird das akkugetriebene Stimulationsgerät mit den bereits eingebrachten Elektroden verbunden.

Kontakt
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Klinik für Neurochirurgie
Direktorin: Prof. Dr. med. Gabriele Schackert
Dr. med. Tareq Juratli
Dr. med. Amir Zolal
Tel.: 0351 458-18534
E-Mail:
Internet: www.uniklinikum-dresden.de/nch