»Carl Gustav Carus steht für Neugier, Schaffenskraft und Grenzüberschreitung.«
Bereits in ihren Anfängen ist die Medizin eine interdisziplinäre Wissenschaft gewesen. Carl Gustav Carus, Namenspatron des Dresdner Uniklinikums, ist dafür ein beeindruckendes Beispiel. Seine Offenheit, die sich in einer nie versiegenden Neugier, im bewussten Überschreiten bestehender Grenzen und in seiner ungebrochenen Schaffenskraft äußert, sind die archetypischen Qualitäten von Menschen, die etwas bewegen wollen und auch bewegen können. Dieses „Carus-Gen“ ist in der Vergangenheit bei vielen Sachsen anzutreffen gewesen. Beim kunstsinnigen wie machtbewussten August dem Starken genauso wie bei Karl May, bei dem vernehmlich sächselnden Philosophen Friedrich Nietzsche oder dem Komponisten Richard Wagner.
Doch in den letzten 50 Jahren waren diese sächsischen Gene nicht mehr so präsent. Aber es gibt eine kleine Stadt in der Stadt, in der sich dieses Gen in den letzten 20 Jahren explosionsartig ausgebreitet hat – das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus. Dies ist jedoch nicht das Ergebnis einer abgeschotteten Gemeinschaft von Ur-Dresdnern. Ganz im Gegenteil: Die heutigen Träger des „Carus-Gens“ kamen erst aus ganz Deutschland, dann aus Europa und schließlich aus der ganzen Welt an die Elbe, um gemeinsam an der Zukunft der Medizin zu arbeiten und gleichzeitig für das Wohl der Patienten von heute da zu sein.
Dass die Dresdner Hochschulmedizin so viele Wissenschaftler, Ärzte, Pflegende und Vertreter anderer Professionen anzieht, ist auch eine Frage der Kultur: Der hier zu spürende „Spirit“ sieht den Menschen mit seinem Wissen, mit seinen Fähigkeiten und seinen Talenten. Leider ist das nicht die Perspektive einiger Sachsen, wenn sie über den Zuzug von Menschen anderer Nationalitäten diskutieren. Da gilt weithin Schubladendenken: Ein mitteleuropäisches Antlitz und ein vertrauter Klang der Sprache bilden die wichtigste Vertrauensbasis. Diese Eigenschaften mögen zwar eine vertraut-heimelige Atmosphäre schaffen, sind aber kein Erfolgsfaktor für eine Institution, die Forschung, Lehre und Krankenversorgung auf Spitzenniveau betreibt.
Welche Stärken die Akteure einer lebendigen Hochschulmedizin auszeichnen, das zeigt der Jahresbericht 2014 des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus. Sechs Porträts stellen Menschen vor, die für die Vision einer innovativen, den Patienten zugewandten Medizin stehen. Als wissenschaftliche und soziale Institution sind Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät eine Drehscheibe für Menschen mit Talenten, Wissen und Visionen. Einige von ihnen finden hier ihre Heimat, andere brechen nach einiger Zeit zu neuen Ufern auf. Was die meisten Mitarbeiter an der Dresdner Hochschulmedizin schätzen, ist der unvoreingenommene, kollegiale und interdisziplinäre Geist.
Doch nicht selten müssen gerade die von weither kommenden Wissenschaftler, Ärzte, Pflegenden und Vertreter anderer Professionen feststellen, dass der „Spirit“ der Hochschulmedizin zwar auf dem Campus erlebbar ist, „draußen“ jedoch ein teilweise schneidender Wind aus Skepsis, Distanz und Ablehnung herrscht. Dresden orientiert sich offenbar eher an der Geschichte und seinen steinernen Zeugen als an der Unvoreingenommenheit gegenüber Neuem und Unbekanntem.
Eine Umkehr im Denken und Fühlen ist zwingend nötig. Denn Dresden mit seiner mittlerweile einmaligen wirtschaftlich starken Forschungslandschaft braucht Menschen mit ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und Talenten – ungeachtet ihrer Herkunft und kulturellen Identität. Nur im Miteinander dieser Talente ist es möglich, das Carus-Gen am Leben zu erhalten. Wie in der Natur reicht es heute in der Wissenschaft nicht mehr aus, sich einzukapseln und allein auf den eigenen Stamm zu setzen.