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Familiäre Adenomatöse Polyposis (FAP)

Die klassische Form der Familiären Adenomatösen Polyposis (FAP, Häufigkeit ca. 1:10.000) ist gekennzeichnet durch das Auftreten von hunderten bis tausenden adenomatöser Polypen in Dickdarm bereits ab dem 2. oder 3. Lebensjahrzehnt. Die Polypen zeigen zwar gegenüber "Alterspolypen" keine beschleunigte Entartungstendenz, unbehandelt entwickelt sich jedoch infolge der schieren Anzahl und dem frühen Auftreten aus einzelnen Polypen bei praktisch allen FAP-Betroffenen ein kolorektales Karzinom bis zum 40. Lebensjahr. Einen milderen Krankheitsverlauf beobachtet man bei der attenuierten FAP (aFAP), die durch eine sehr variable Anzahl von Dickdarmpolypen (häufig <100) und einen um ca. 10-15 Jahre verzögerten (ergo "attenuierten") Krankheitsbeginn im Vergleich zur klassischen FAP gekennzeichnet ist. Das Lebenszeitrisiko für Darmkrebs ist unbehandelt mit ca. 70% jedoch ebenfalls sehr hoch. Während bei Personen mit klassischer FAP die operative Entfernung des Dickdarms (Kolektomie) meist zwischen dem 20.-25. Lebensjahr zur Verhinderung von Darmkrebs notwendig wird, kann dies bei Personen mit attenuierter FAP unter regelmäßiger koloskopischer Kontrolle und Entfernung der Polypen mitunter deutlich hinausgezögert oder sogar vermieden werden. Die Operation wird im Regelfall unter Erhalt der Schließmuskelfunktion durchgeführt (Proktokolektomie mit Anlage einer ileo-pouchanalen (IPAA) oder ileorektalen Anastomose (IRA)), sodass im Anschluss eine weitgehend unbeeinträchtigte Lebensführung möglich ist.

Patienten mit FAP/aFAP entwickeln häufig auch Polypen in Magen und Dünndarm. Hieraus ergibt sich ein erhöhtes Lebenszeitrisiko für Dünndarmkarzinome, insbesondere des Zwölffingerdarms (Duodenalkarzinom 4-12%), sodass bei einem Teil der Betroffenen auch die Entfernung dieses Darmabschnitts notwendig werden kann. Weiterhin treten gehäuft Karzinome der Schilddrüse (1-12%, Verhältnis Frauen zu Männer 80:1) und selten embryonale Lebertumore (Hepatoblastome, 1-2 %, Kinder <5 Jahren), sowie Hirntumore (zumeist Medulloblastome <1%) auf. Möglicherweise ist auch das Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs und Magenkrebs leicht erhöht.

Zu den gutartigen Veränderungen, die mit FAP/aFAP assoziiert sind, zählen Knochentumore, besonders im Kieferknochen (Osteome), Hautveränderungen (Epidermoidzysten), sog. Drüsenkörperzysten des Magens, sowie verschiedene Zahnauffälligkeiten (überzählige oder fehlende Zähne, Odontome). Desmoidtumore, die meist aus dem Bindegewebe des Bauchraums oder der Bauchwand hervorgehen, sowie gutartige Pigmentstörungen der Netzhaut (Congenitale Hypertrophie des retinalen Pigment-Epithels = CHRPE), sind bei klassischer FAP häufig, bei attenuierter FAP hingegen äußerst selten. Insgesamt kann der Krankheitsverlauf auch bei verschiedenen Betroffenen in der gleichen Familie stark variieren und ist im Einzelfall schwer vorhersehbar. Das Auftreten von Tumoren vor dem 20. Lebensjahr ist insgesamt sehr unwahrscheinlich (<2%).

VERERBUNG

Die FAP/aFAP wird durch heterozygote (auf der mütterlichen oder der väterlichen Genkopie vorliegende) krankheitsverursachende Veränderungen (Mutationen) im APC-Gen ausgelöst. Die Genveränderung kann von einem Elternteil geerbt worden, oder neu entstanden (de-novo) sein.

 

Abbildung 1: Schematische Darstellung der zellulären Regulation des intrazellulären beta-catenin Spiegels durch den APC-GSK3beta-Axin Proteinkomplex. Das durch eine genetische Veränderung modifizierte Protein ist durch einen roten Stern gekennzeichnet.

 APC steht für adematous–polyposis-coli und das Gen kodiert für das APC-Tumorsuppressorprotein. Normalerweise bildet dieses Protein einen Komplex mit dem Gerüstprotein Axin und der Proteinkinase GSK-3beta, der dann das Signalmolekül beta-catenin des Wnt-Signalweges bindet, seinen Abbau reguliert und dadurch die Zellteilung reguliert (Abbildung 1, oberer Teil). Durch eine Mutation im APC Gen wird die dreidimensionale Struktur des Proteins verändert, und die Bindung von beta-catenin zum Komplex wird herabgesetzt. beta-catenin akkumuliert in der Zelle, wandert schließlich in den Zellkern und kann die Expression weiterer Gene über die Expression von Transkriptionsfaktoren (TCF/LEF) veranlassen (Abbildung 1, unterer Teil). Dadurch beginnt die Zelle, sich unkontrolliert zu teilen und entartet.

Die FAP/aFAP wird autosomal-dominant vererbt, dies bedeutet, dass Mutationsträger*innen die krankheitsverursachende Veränderung im APC-Gen geschlechtsunabhängig mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% an alle Nachkommen weitergeben. In der Regel sind mit gleicher Wahrscheinlichkeit auch alle weiteren erstgradige Angehörigen (Geschwister, Eltern) von der Mutation betroffen. Weil nahezu jede*r Mutationsträger*in auch erkrankt, spricht man von kompletter Penetranz. Für alle blutsverwandten Angehörigen besteht die Möglichkeit einer prädiktiven (vorhersagenden) Testung, bei der die familiäre Mutation entweder nachgewiesen oder ausgeschlossen wird. Da eine Früherkennung bereits im Jugendalter beginnt, ist eine Testung ab dem 10.-12. Lebensjahr sinnvoll.

FRÜHERKENNUNG

Mutationsträger*innen und Risikopersonen, bei denen die ursächliche Genveränderung noch nicht ausgeschlossen wurde, sollten lebenslang die folgenden Früherkennungsuntersuchungen wahrnehmen:

  • Dickdarmkrebs: Enddarmspiegelung (Rektosigmoidoskopie) ab dem 10. Lebensjahr jährlich, bei Polypennachweis komplette Darmspiegelung (Koloskopie)
  • Kolektomie in der Regel bis zum 20. Lebensjahr
  • nach Kolektomie: jährliche Spiegelung von Pouch oder Rektumstumpf
  • Magen- und Dünndarmkrebs: Magenspiegelung (Ösophagogastroduodenoskopie) ab dem 25-30. Lebensjahr 1- bis 3-jährlich je nach Polypenlast entsprechend SPIGELMAN-Klassifikation
  • Schilddrüsenkrebs: Schilddrüsenultraschall (Sonographie) ab dem 15. Lebensjahr 1-bis 5-jährlich je nach Befund

Bei aFAP-Betroffenen kann in Abhängigkeit der Polypenlast zunächst eine aktive koloskopische Überwachung mit regelmäßiger Abtragung der Polypen (Polypektomie) versucht werden. Sobald eine endoskopische Kontrolle der Polypenbildung in Dünn- oder Dickdarm nicht mehr gegeben ist, sollte zu einer operativen Therapie geraten werden. Betreuung und Operation sollten in Zentren mit entsprechend großer Erfahrung erfolgen. Die Vorsorgeintervalle gelten auch für Tumorpatienten (Vorsorge = Nachsorge). Eine medikamentöse Therapie kann in speziellen Einzelfällen die Polypenlast verringern, wird jedoch derzeit nicht generell empfohlen.

LITERATUR / LEITFADEN /SELBSTHILFEGRUPPEN

LITERATUR

APC-Associated Polyposis Conditions. Jasperson KWPatel SGAhnenDJ. Genereviews

SELBSTHILFEGRUPPEN

Familienhilfe Polyposis coli e.V.; Bundesverband
Am Rain 3a
36277 Schenklengsfeld
Tel.: 06629 / 1821
E-mail: info@familienhilfe-polyposis.de

Regionalgruppe Ost, Standort Dresden

Steffen Gissing
23843 Bad Oldesloe
Tel.: 0162 / 2735 957
E-mail: s.gissing@familienhilfe-polyposis.de


Heike Fricke
17034 Neubrandenburg
Tel.: 0395 / 4215 484
E-mail: h.fricke@familienhilfe-polyposis.de