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Corona-Studie: Immunisierungsgrad geringer als erwartet – Schulen haben sich nicht zu Hotspots entwickeltAm Institut für Virologie der der Medizinischen Fakultät der TU Dresden wurden das Serum von Schü-lern und Lehrern analysiert. Foto: Hochschulmedizin Dresden/Stephan Wiegand
15. Juli 2020

Corona-Studie: Immunisierungsgrad geringer als erwartet – Schulen haben sich nicht zu Hotspots entwickelt

Die Medizinische Fakultät der TU Dresden und das Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus haben im Mai 2020 eine Studie zur Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus an sächsischen Schulen gestartet. Am heutigen Montag präsentierten die Studienmacher die Ergebnisse der ersten Testphase mit über 2000 Teilnehmern. Es ist die bisher bun-desweit größte Studie, bei der im Rahmen der Wiedereröffnung der Schulen nach dem Lockdown erfasst werden soll, wie viele Schüler und Lehrer Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus in sich tragen und wie sich dessen Ausbreitung über die Zeit verändert. Die Zahlen geben Aufschluss über den aktuellen Immunitätsstatus von Lehrern und Schü-lern. Sie liefern daher auch wichtige Anhaltspunkte dafür, wie der Schulbetrieb nach den Sommerferien weitergehen kann.

Abstract:

  • Geringer Immunisierungsgrad: Von den 2045 untersuchten Blutproben ließen sich in 12 zweifelsfrei Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus nachweisen. Damit liegt der Immunisierungsgrad in der Gruppe der Studienteilnehmer deutlich unter einem Prozent (0,6 Prozent) und fällt geringer aus als prognostiziert.
  • Dynamik der Virusverbreitung bisher überschätzt: Die Wissenschaftler um Studienleiter Prof. Reinhard Berner, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, ziehen ein positives Fazit, die dynamische Verbreitung des Virus in Familien betreffend. Diese wurde offenbar bisher überschätzt. Denn in 24 Familien der Studienteilnehmer gab es mindestens einen bestätigten Corona-Fall, aber nur bei einem der Probanden ließen sich Antikörper nachweisen.
  • Schulen wurden nach Wiedereröffnung nicht zum Hotspot: In einigen der untersuchten Schulen gab es bestätigte Corona-Fälle. Dennoch waren bei den Lehrern und Schülern der betreffenden Einrichtungen nicht überdurchschnittlich mehr Antikörper nachweisbar, was darauf schließen lässt, dass sich die Schulen nicht zu Hotspots entwickelt haben.

Mediziner des Dresdner Universitätsklinikums Carl Gustav Carus haben in den Monaten Mai und Juni insgesamt 2045 Blutproben von Schülern und Lehrern aus 13 weiterführenden Schulen in Dresden und den Landkreisen Bautzen bzw. Görlitz untersucht. Von den 2045 Proben stammten 1541 von Schülerinnen und Schülern überwiegend der Klassenstufen acht bis elf. Zudem haben sich insgesamt 504 Lehrer beteiligt, ihr Alter reichte von 30 bis 66 Jahren. Bei den Schülern lag der Anteil der männlichen und weiblichen Studienteilnehmer in etwa gleich auf, bei der Lehrerschaft dominierten mit einem Anteil von 70 Prozent die Lehrerinnen.  In einigen der 13 Schulen gab es diagnostizierte Coronafälle.

Der Anamnese zufolge gaben fünf Studienteilnehmer an, selbst zuvor positiv auf das SARS-CoV-2 Virus getestet worden zu sein. Zudem gab es 24 Haushalte, in denen im Vorfeld ein Familienmitglied positiv getestet worden war. Mediziner des Uniklinikums Dresden haben den Schülern und Lehrern jeweils fünf Milliliter Blut aus der Armvene entnommen. „Alle Proben wurden einem einheitlichen, zugelassenen Antikörpertest unterzogen. Er ist automatengeeignet und identifiziert in dem Serum Antikörper auf das Spike-Protein des SARS-CoV2-Virus“, erklärt der Direktor des Instituts für Virologie der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, Professor Alexander Dalpke.

Zu den Ergebnissen:

In 12 der 2045 Proben konnten am Institut für Virologie zweifelsfrei Antikörper nachgewiesen werden. Dazu wurden Proben mit positivem Testergebnis zwei weiteren Antikörpertestungen unterzogen. War mindestens eine der zusätzlichen Tests positiv, gilt der Studienteilnehmer sicher als Antikörperträger. In fünf der zwölf Fälle gab es eine bekannte nachgewiesene Corona-Virusinfektion, in sieben Fällen war die Infektion vorab nicht bekannt. Damit liegt die Dunkelziffer für die Infektion unter den Studienteilnehmern knapp über zwei.

Fazit Prof. Reinhard Berner, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus und Studienleiter:

„Wir gehen in die Sommerferien 2020 mit einem Immunitätsstatus, der sich nicht von dem im März 2020 unterscheidet. Von den über 2000 untersuchten Blutproben ließen sich nur in 12 Fällen Antikörper nachweisen, was einem Anteil von deutlich unter einem Prozent entspricht. Das bedeutet, dass eine stille, symptomfreie Infektion bei den von uns untersuchten Schülern und Lehrern bislang noch seltener stattgefunden hat, als wir das vermutet hatten“.

Auffallend ist auch, dass in den 24 Haushalten, in denen mindestens ein Corona-Fall bekannt war, offenbar nur eine einzige Ansteckung stattgefunden hat, nach der sich nun entsprechende Antikörper nachweisen lassen.

Fazit Prof. Reinhard Berner, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus und Studienleiter:

„Diese Untersuchungsergebnisse liefern Hinweise darauf, dass die Virusübertragung in Familien nicht so dynamisch geschieht, wie bisher angenommen. Bei mehr als 20 der untersuchten Probanden gab es mindestens einen nachgewiesenen Corona-Fall in der Familie; allerdings wurden nur bei einem einzigen dieser Studienteilnehmer Antikörper gefunden, was bedeuten würde, dass der größte Teil der Schulkinder trotz eines Infektionsfalls im Haushalt selbst keine Infektion durchgemacht haben. Auch diesen Befund muss man mitbedenken, wenn über Maßnahmen der Kontaktbeschränkung neu zu entscheiden ist“.

Für die Studie wurden bewusst SchülerInnen überwiegend der achten bis elften Klassen ausgewählt, weil sich diese Schüler in größerem Maße unabhängig von ihrem Elternhaus und vielleicht auch von den Vorgaben der Allgemeinverfügung bewegen, sie haben auch annehmbar eine entsprechend große Anzahl von sozialen Kontakten. Weiterhin wurden für die Studie bewusst auch Schulen ausgewählt, von denen bekannt war, dass dort vor dem Lockdown SARS-CoV2-Infektionen nachgewiesen worden waren.

Fazit Prof. Reinhard Berner, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus und Studienleiter:

„Hier konnten wir erfreulicherweise feststellen, dass sich in der ausgewählten Altersgruppe und in den untersuchten Schulen weder vor dem Lockdown noch nach der Wiedereröffnung Hotspots entwickelt haben. Vier von fünf Schülern, also 80 Prozent, gaben dabei an, über ihren Klassenverband und die Familie hinaus regelmäßige soziale Kontakte unterhalten haben. Auch das hat offenbar nicht zu einer weiteren Verbreitung des Virus geführt.“

Bereits in der vergangenen Woche wurden erneut Blutproben entnommen. Zehn Prozent der Studienteilnehmer, das entspricht rund 200 Schülern und Lehrern, wurden noch einmal getestet, und zwar in den Schulen, an denen am 25. Mai mit der Probenentnahme gestartet hatte. Die zweite große Testreihe an allen 13 Schulen ist zu Beginn des neuen Schuljahres geplant, eine dritte wird es in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen Ende 2020 oder Anfang 2021 geben, sagt Professor Reinhard Berner von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Carls Gustav Carus. Er betreut gemeinsam mit Dr. Jakob Armann die Studie, während Prof. Dalpke am Institut für Virologie die Auswertung der Blutproben verantwortet. Gemeinsam warnten sie davor, ein positiver Antikörpertest sei kein Freibrief, denn der Nachweis von Antikörpern bedeute nicht zwangsläufig Schutz. „Zudem gibt es bei jedem Test auch sogenannte falsch positive Befunde, die vermeintliche Antikörper anzeigen, die tatsächlich gar nicht vorhanden sind. Wir haben deshalb positive Befunde zwei weiteren Testungen unterzogen“, so Prof. Alexander Dalpke. Nur wer in zwei der drei Verfahren positiv war, wurde als Antikörperträger klassifiziert. Entscheidend sei daher, sich die Antikörperentwicklung im Verlauf anzusehen, so der Virologe. Die vom Freistaat Sachsen finanzierte Studie ist deshalb auch auf einen Zeitraum von zwei Jahren angelegt. 

„Das Universitätsklinikum Dresden hat in der Corona-Krise als Koordinator der Zentralen Krankenhausleitstelle Dresden-Ostsachsen bereits eine führende Rolle eingenommen“, so Professor Michael Albrecht, Medizinische Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden. „Das daraus entstandene Vertrauen in unsere Arbeit bestärkt uns nun, auch einen wissenschaftlichen Beitrag zu leisten, um die Pandemie zu überwinden. „Die Langzeitstudie an sächsischen Schulen leistet dafür einen wichtigen Beitrag und liefert Erkenntnisse über die Dynamik der Virusverbreitung“, erklärt Professor Heinz Reichmann, Dekan der Medizinischen Fakultät der TU Dresden.

Die Daten der Studienteilnehmer werden mit einem Nummern- und/oder Buchstabencode pseudonymisiert. Nur das Daten-erhebende Zentrum in Dresden kann die Proben zurückverfolgen, um dem Teilnehmer - wenn von ihm gewünscht ­- sein Testergebnis zu übermitteln. Werden die Daten weitergegebenen, beispielsweise für vergleichende Forschung zwischen den Bundesländern, sind sie komplett anonymisiert. Alle Vorschriften des Datenschutzes werden entsprechend eingehalten.

Kontakt

Prof. Berner_10x15.jpgUniversitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Prof. Dr. med. Reinhard Berner
0351 458-2508