Wie können Betroffene von Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit das Erfahrene verarbeiten?
Menschen, die als Kind körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren mussten, leiden unter den Folgen -oft ein Leben lang. Häufig entwickeln sie eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In der ENHANCE-Studie sollen neue Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie Betroffene am besten dabei unterstützt werden können, die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten.
Auch ein Team des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus und der TU Dresden beteiligt sich an der deutschlandweiten Studie. In dem Projekt, das vom Bundeministerium für Bildung und Forschung mit 3 Millionen Euro gefördert wird, sollen insgesamt über 300 Patientinnen und Patienten eine spezifisch auf ihre Bedürfnisse angepasste, trauma-fokussierte Psychotherapie erhalten.
Dabei werden im Rahmen der Studie unter Leitung von Prof. Falk Leichsenring von der Justus-Liebig-Universität Gießen zwei Psychotherapie-Verfahren untersucht, die bereits bei der Behandlung traumatisierter Patientinnen und Patienten zum Einsatz kommen.
„Beide Verfahren sind speziell auf die Bedürfnisse von Menschen ausgerichtet, die Missbrauch oder Misshandlung in der Kindheit durch Bezugspersonen erlebt haben. Die verhaltenstherapeutische Therapie, STAIR-NT, besteht aus zwei Phasen: In der ersten Phase geht es um den Umgang mit intensiven Gefühlen und Beziehungsschemata, die oft im Rahmen der traumatischen Erfahrungen geprägt worden sind. In der zweiten Phase findet die Traumaexposition in Form von Narrationen, also sprachlich fassbaren Beschreibungen, statt“, erläutert Prof. Jürgen Hoyer von der TU Dresden.
Die trauma-fokussierte psychodynamische Therapie nach Wolfgang Wöller unter Mitwirkung von Dr.in Julia Schellong (Oberärztin Psychotraumatologie des Universitätsklinikums Dresden) legt den Fokus auf die Entwicklung einer halt- und sicherheitsgebenden therapeutischen Beziehung. Diese legt den Grundstein für die Ressourcenaktivierung, den Umgang mit intensiven emotionalen Zuständen und die schonende Konfrontation mit den traumatischen Inhalten durch imaginative Techniken. „Nie geht es nur um die Methode alleine, sondern immer auch um die Beziehung und die darin eingebetteten individuellen Bedürfnisse, Ängste und Erwartungen der Patient*innen“, betont Prof.in Kerstin Weidner, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Dresden.
Wer welche Therapie beginnt, entscheidet in der Studie zunächst der Zufall. Bei beiden Verfahren handelt es sich um Einzeltherapien, die wöchentlich stattfinden und insgesamt 24 Sitzungen umfassen. Ein kleinerer Teil von Patientinnen und Patienten wird in eine Wartegruppe zugelost und beginnt erst nach 6 Monaten mit der Psychotherapie.
Nicht nur in Dresden und Gießen, sondern auch in Berlin, Mainz und Ulm arbeiten Wissenschaftler*innen an der Studie mit. Dabei soll auch untersucht werden, ob sich durch das Trauma verursachte biologische Veränderungen - wie beispielsweise ein Ungleichgewicht an Stresshormonen - durch Psychotherapie rückgängig machen lassen.
„Der Prozentsatz der Patient*innen, die nach chronischen Traumata vollständig genesen, liegt bei schätzungsweise lediglich 27%. Wir hoffen darauf, dass diese Rate in beiden Therapiearmen mindestens erreicht wird und dass wir zahlreiche Perspektiven für bessere Therapien ableiten können“, so Prof. Jürgen Hoyer von der TU Dresden über die Erwartungen an die Studie. „Die Evaluation der Therapien auch im Langzeitverlauf ist ein wichtiger Beitrag für die Psychotherapieforschung“, ergänzt Prof.in Kerstin Weidner vom Universitätsklinikum.
Bis zum Ende des Jahres werden noch Teilnehmende für die ENHANCE-Studie gesucht. Interessierte können sich unter enhance@tu-dresden.de an das Studienteam wenden. Im Vorfeld der Teilnahme findet eine ausführliche Beratung und Diagnostik statt. Mehr Informationen zur Studie und zu den Teilnahmevoraussetzungen sind unter www.enhance-traumatherapie.de zusammengestellt.