September 2020 - Fachtag "Sensy" – Schule sensibilisieren für psychiatrische Themen
Laut einer Erhebung des Robert Koch-Instituts zur Kinder- und Jugendgesundheit zeigen 20% der unter 18-Jährigen in Deutschland emotionale und Verhaltensauffälligkeiten. Die Rate ist in Risikopopulationen, wie z.B. bei Kindern psychisch kranker Eltern, von Alleinerziehenden oder die in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe leben, deutlich höher (bis zu 60%). Neben Familie und Freizeit hat Schule im Alltag der Kinder und Jugendlichen und für ihre gesunde Entwicklung einen großen Stellenwert.
Um Lehrer*innen im Erkennen und im Umgang mit den Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen zu unterstützen, wurde in 2018 das Projekt „Sensy“ („Schule sensibilisieren für psychiatrische Themen“), welches aus Mitteln des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus mit einer Laufzeit von drei Jahren bis Ende 2020 gefördert.
Das Projekt umfasst 3 Bereiche der Lehrer*innenausbildung:
- Lehrveranstaltungen in Phase 1 der Lehrer*innenausbildung (Lehre an der Universität)
- Lehrveranstaltungen in Phase 2 der Lehrer*innenausbildung (Lehre im Vorbereitungsdienst)
- Erstellung von Strukturbildern zur Optimierung der Schnittstellenarbeit und -wege zwischen Schule, Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie (KJP) und anderen Akteuren
Seit 2018 fanden in Phase 1 und 2 verschiedenste Veranstaltungen in Dresden statt. Seit dem Wintersemester 2018/2019 haben wir im Ergänzungsbereich an der Technischen Universität Dresden ein Seminar (bestehend aus wöchentlichen 90-minütigen Sitzungen) für Lehramtsstudierende in höherem Semester zu „Psychische Störungen im Schulalltag“ angeboten. Ergänzungsbereich bedeutet, dass Lehramtsstudierende entsprechend ihren Interessen aus einem großen Angebot drei Seminare wählen und besuchen können. Inhaltlich beschäftigt sich das Seminar mit der Vermittlung von Wissen zu Kennzeichen, Entstehung und Verbreitung von emotionalen und Verhaltensproblemen im Schulalltag (wie z.B. Symptome einer Depression, Störung des Sozialverhaltens, Autismus). Um eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesen Besonderheiten zu ermöglichen, werden zudem Möglichkeiten des Umgangs im Schulalltag und Hilfsangebote außerhalb der Schule aufgezeigt. Zusätzlich fand seit August 2018 jeweils im Sommersemester in einer für alle Studierenden verpflichtenden Vorlesungssitzung eine allgemeine Einführung zu psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen (Klärung von Grundbegriffen, Multifaktorielles Entstehungsmodell psychischer Störungen, Vorstellung der Arbeitsweise einer KJP) statt.
In Phase 2 der Lehrer*innenausbildung (Referendariat) führten wir bisher Veranstaltungen mit verschiedenen Formaten für jede unterrichtete Schulart (hier: Grundschule, Oberschule, Gymnasium, Berufsbildende Schulen) im Vorbereitungsdienst Dresden durch. Nach einer Erprobung auch mit verschiedenen Zeitumfängen (von einem halben bis ganzen Veranstaltungstag) kristallisierte sich heraus, dass eine ganztägige Veranstaltung die besten Möglichkeiten bietet, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen. Neben der Vermittlung von Wissen zu Grundlagen und verschiedenen Störungsbildern fanden darin Fallbesprechungen, Rollenspiele zu schwierigen Situationen im Zusammenhang mit emotionalen und Verhaltensproblemen im Schulalltag (z.B. Suizidalität oder Selbstverletzendem Verhalten bei Schülerinnen und Schülern), ergänzende Themen, wie Verstärkerpläne oder Kindesmisshandlung und vor allem Raum für Diskussion ihren Platz. Da die Resonanz auf unsere Veranstaltungen sehr positiv ausfiel und ein großer Bedarf in diesem Bereich gesehen wurde, erweiterten wir ab Herbst 2019 unser Veranstaltungskonzept für Phase 1 und Phase 2 auf die Städte Chemnitz und Leipzig, auch mit dem Hintergrund eine Verstetigung über das Ende der Projektlaufzeit hinaus anzustreben. Im Frühjahr 2020 begannen wir mit den ersten Veranstaltungen in den Standorten der Vorbereitungsdienste Chemnitz und Leipzig. Bis zum Ende der Projektlaufzeit planen wir die Durchführung von Veranstaltungen an allen Standorten der Vorbereitungsdienste in Sachsen sowie zwei Veranstaltungen für Lehramtsstudierende an der Technischen Universität Chemnitz.
Neben den beschriebenen Veranstaltungen möchten wir Wissen zu Abläufen rund um das Thema emotionale und Verhaltensprobleme im Schulalltag mit all den Schnittstellen z.B. zwischen Schule, Jugendamt/-hilfe, Lernförderung/-therapie und KJP bündeln und verständlich (u. a. in Form von Strukturbildern) aufbereiten, sodass Wege besser aufgezeigt und gegangen werden können. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen mit emotionalen und Verhaltensproblemen im Schulalltag bis hin zu psychischen Störungen rechtzeitig und ausreichend abgestimmt, die Hilfen bereitstellen zu können, die sie für eine gesunde Entwicklung benötigen. Derzeit findet die Erarbeitung der Strukturbilder zu den Themen „Verfahrensweg bei Verdacht auf emotionale und Verhaltensprobleme im Schulalltag“ und eine Aufstellung von geeigneten Hilfen statt, die nach ihrer Fertigstellung einem möglichst breiten Personenkreis zugänglich gemacht werden sollen. Dadurch können Absprachen zwischen Schule und KJP verbindlicher gestaltet werden, um eine Verbesserung der Entwicklungschancen von Schülerinnen und Schülern zu erreichen.
Da die Projektlaufzeit sich ihrem Ende nähert und bisher keine Möglichkeit der Verstetigung absehbar ist, fand am 28.09.2020, wenn auch coronabedingt mit deutlich weniger Besucherinnen und Besuchern als Interessierten, unser „Sensy-Fachtag“ statt, in welchem wir die Thematik aus ganz verschiedenen Perspektiven beleuchteten und über die bisherigen Erfahrungswerte berichteten.
So waren niedergelassene Kollegen, Projektverantwortliche unseres und anderer Projekte aus dem Bereich der Lehrerbildung, Schulleiterinnen und Vertreter des Dresdner Jugendamts vor Ort und stellten Ihren Blick auf den Status quo und zukünftige Möglichkeiten vor.
Der Fachtag zeigte in seiner Gesamtheit verschiedene Anstrengungen auf Länder- und Kommunalebene zukünftige Lehrkräfte und Multiplikatoren im Umgang mit Kindern mit emotionalen und Verhaltensauffälligkeiten zu unterstützen. Trotz der großen Resonanz, die das Projekt „Sensy“ hervorrief, haben Projekterfahrung, Impulsbeiträge sowie die Diskussion des Fachtages aufgezeigt, dass es weiterer langfristiger und hartnäckiger Anstrengungen für eine stärkere Vernetzung, gegenseitige Einsichtnahme und Verständnis der unterschiedlichen Akteure im Kontext Schule bedarf.