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Maximalversorgung startet bereits im Kreißsaal bei angenabeltem Frühgeborenen
30. März 2021

Maximalversorgung startet bereits im Kreißsaal bei angenabeltem Frühgeborenen

Am Zentrum für feto/neonatale Gesundheit am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden wurde jetzt erstmals ein frühgeborenes Kind auf einem neuartigen Geburtstisch versorgt. Deutschlandweit ist es der erste Einsatz eines solchen Tisches überhaupt. Der Einsatz wurde zuvor in den Niederlanden sowie in Österreich erprobt. Der Geburtstisch „Concord Birth Trolley“ ermöglicht es den Medizinern, dem zu früh geborene Kind noch im angenabelten Zustand direkt bei der Mutter die notwendige medizinische Unterstützung zu geben. „Unser Zentrum für feto/neonatale Gesundheit ist damit Vorreiter bei der Versorgung von extrem unreifen Frühgeborenen“, sagt Direktor Prof. Mario Rüdiger. „Wir sind sehr stolz, als erstes Zentrum in Deutschland eine Methode einzuführen, die auch Frühgeborenen einen sanften Start in das Leben ermöglicht.“ Maira kam am 19. März zusammen mit ihrem Bruder Avik in der 34. Schwangerschaftswoche zur Welt. Beide Kinder werden jetzt in der Kinderklinik am Uniklinikum versorgt. Da der Junge bei dem Kaiserschnitt als erster zur Welt kam, wurde er im Nachbarraum zum Kreißsaal versorgt. Maira haben die Ärzte auf dem „Concord Birth Trolley“ direkt bei der Mutter stabilisiert und erst danach die Nabelschnur durchtrennt.

Die Nabelschnur verbindet das Ungeborene mit der Mutter und versorgt es unter anderem mit Sauerstoff. Nach der Geburt ist das Neugeborene auf sich selbst angewiesen und muss selbstständig atmen. Bei einer normalen Geburt wird die Nabelschnur meistens erst durchtrennt, wenn das Neugeborene die ersten Atemzüge gemacht hat. Bei Frühgeborenen ist es schwieriger, diese Abläufe einzuhalten. Bedingt durch die Unreife benötigen sie sehr häufig eine Unterstützung. Ausreichende Atmungsaktivitäten stellen sich oft erst nach einigen Minuten ein. Da diese Kinder oft per Kaiserschnitt zur Welt kommen und gleich abgenabelt werden, findet während dieser ersten Lebensminuten auch keine Versorgung über die Nabelschnur mehr statt. Damit einher geht bei unreifen Kindern die Gefahr einer langfristigen Schädigung. 

Durch die verbesserte Erstversorgung im Kreißsaal haben Mediziner nun die Hoffnung, dass sich diese Schäden künftig minimieren beziehungsweise vermeiden lassen. Diese Annahme beruht auf klinischen Studien, deren Ergebnisse in der Vergangenheit auf dem internationalen Treffen der Forscher am Zentrum für feto/neonatale Gesundheit in Dresden vorgestellt wurden. So müsste es auf dem Concord Geburtstisch gelingen, das frühgeborene Kind erst dann abzunabeln, wenn es eine ausreichende Eigenatmung aufweist. Diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen war bisher schwierig. Die Arbeitsgruppe um Prof. Arjan te Pas, ein langjähriger Kooperationspartner des Zentrums für feto/neonatale Gesundheit Dresden, hat im niederländischen Leiden einen speziellen Tisch entwickelt, der es ermöglicht, dem Kind die notwendige medizinische Unterstützung zu geben, obwohl es noch durch die Nabelschnur mit der Mutter verbunden ist.

Der neue CE-zertifizierte Geburtstisch „Concord Birth Trolley“ (con – „mit“, cord – „Nabelschnur“) wurde erstmals 2019 auf dem internationalen Symposium in Dresden von dem Startup Concord Neonatal der Öffentlichkeit vorgestellt und kam im vergangenen Jahr in acht niederländischen Zentren bei der Versorgung extrem unreifer Frühgeborener zur Anwendung. „Unser Kooperationspartner in Leiden ist von der Versorgung begeistert. Deshalb wollen wir die Vorteile des Tisches nun auch in Dresden anbieten und die Erkenntnisse in die Praxis überführen“, sagt Prof. Mario Rüdiger, Direktor des Zentrums für feto/neonatale Gesundheit. Damit bietet das Uniklinikum Dresden als erste Einrichtung deutschlandweit eine Versorgung von Frühgeborenen auf dem Geburtstisch „Concord Birth Trolley“ an. Am 19. März wurde das erste Kind darauf versorgt: Das kleine Mädchen Maira wurde in der 34. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht von 1975 Gramm geboren. Bei der Zwillingsgeburt per Kaiserschnitt hat Mama Soni Singh zunächst einen Jungen zur Welt gebracht. Mairas Bruder Avik wog 2040 Gramm und wurde im Nebenraum des Kreißsaals versorgt. Maira dagegen haben die Ärzte auf dem Geburtstisch direkt bei der Mutter stabilisiert Der Kaiserschnitt in der 34. Schwangerschaftswoche war notwendig, weil die Kinder im Bauch der Mutter nicht mehr gut genug versorgt wurden.

„Diese neue Methode ist ein Meilenstein in der perinatalen Medizin. Die innovative Infrastruktur ermöglicht mit dem interdisziplinären Team auch den unreifen Frühgeborenen einen optimalen Start ins Leben“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums. „Dresden ist seit vielen Jahren Vorreiter in der interdisziplinar ausgerichteten Medizin. Begonnen hatte es mit dem innovativ konzipierten Kinder-Frauenzentrum, in dem Geburtshilfe und Kinderklinik Tür an Tür angesiedelt sind. In den vergangenen 20 Jahren konnte sich auf dieser Grundlage eine Expertise entwickeln, die auch auf dem Gebiet der feto-neonatalen Medizin die führende Rolle der Hochschulmedizin Dresden untermauert.“ Zehn Prozent aller Kinder in Deutschland kommen zu früh, also vor der 37. Schwangerschaftswoche, auf die Welt. Ein Prozent der Schwangerschaften endet sogar bereits vor der 32. Woche – Mediziner sprechen dann von extrem zu früh Geborenen. Diese Kinder wiegen unter 1.500 Gramm und benötigen eine besondere medizinische Versorgung. 2020 kamen am Uniklinikum Dresden insgesamt 409 Frühgeborene zur Welt.

Auch für die Mütter ist diese Methode von großem Vorteil. Während sie in der Vergangenheit ihr frühgeborenes Kind während der ersten Lebensminuten nicht sehen konnten, sind sie jetzt dabei und erleben, wenn es die ersten Atemzüge macht. „Davon profitieren auch Mütter, deren Kinder zum errechneten Geburtstermin per Kaiserschnitt zur Welt kommen“, sagt PD Dr. Cahit Birdir, Leiter der Pränatalmedizin und Geburtshilfe an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. „Die sogenannte Kaisergeburt kann jetzt auch für Mütter von Frühgeborenen angeboten werden.“

Damit erfüllt sich ein weiterer Schritt hin zu der Vision, auch die Geburten von Frühgeborenen so zu gestalten, dass der Kontakt zwischen Eltern und Kind von Anfang an gestärkt wird. Die Mediziner wissen aus der langjährigen Erfahrung, wie wichtig der Kontakt zwischen Eltern und Kindern gerade bei Frühgeborenen ist. Sobald das Baby ausreichend versorgt und der Kaiserschnitt der Mutter beendet ist, kommen beide wieder zusammen, um dann – gemeinsam mit dem Vater – die Nähe in der neuen Familie zu spüren.

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Puneet (l.) und Soni freuen sich über die Geburt ihrer Kinder Avik und Maira, die noch im Inkubator versorgt werden. Das Ärzteteam um OÄ Dr. Barbara Seipolt, Prof. Mario Rüdiger und OA Dr. Cahit Birdir (r.) hat die Geschwister zur Welt gebracht und dabei auf den Geburtstisch gesetzt. Foto: UKD/Annechristin Bonß

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