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Safewards – Milieutherapeutische Beziehungsarbeit

Safewards – Milieutherapeutische Beziehungsarbeit

Im Mai 2023 wurde nach 3 Jahren Implementierungsphase erfolgreich das Safewards-Konzept auf allen vier Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Spezialstation für Essstörungen, Offene Kinder- und Jugendstation, geschützte Jugendstation, Spezialstation für Tic- und Zwangsstörungen) sowie den beiden Tageskliniken (Jugendtagesklinik, Familientagesklinik) eingeführt.

Das Safewards-Modell stärkt die multiprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit, bezieht die Sicht der Patient*innen und deren Angehörigen ein und fördert damit die aktive Gestaltung des Zusammenlebens im Sinne der Partizipation aller.

In jeder der 10 Safewards-Interventionen drückt sich ein gemeinsames Verständnis der Patient*innenversorgung und kollegialen Zusammenarbeit geprägt durch Wertschätzung, Respekt und Teilhabe aus. Diese Haltung hat nachweislich Einfluss auf die Wahrnehmung der Patient*innen zu Sicherheit und Orientierung, Zusammenhalt in der Patient*innengruppe und den pädagogisch-pflegerisch-therapeutischen Halt und fördert damit die Resilienz.

Als Präventivmaßnahme wirkt sich die Arbeit nach den Safewards-Werten nachhaltig positiv auf die Vermeidung von Gewalt, Aggression und Zwangsmaßnahmen und damit auf die Reduktion von Konflikten aus.

Welche Interventionen werden konkret umgesetzt?

  • Gegenseitiges Kennenlernen
  • Gemeinsame Erwartungen klären
  • Verständnisvolle Kommunikation
  • Positive Kommunikation
  • Deeskalierende Gesprächsführung
  • Gemeinsame Unterstützungskonferenz
  • Sicherheit bieten
  • Methoden zur Beruhigung
  • Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten
  • Entlassnachrichten

Was steckt in den Interventionen?

Die Umsetzung der Interventionen nimmt Einfluss auf die Haltung der Mitarbeitenden und die Zusammenarbeit mit den Patient*innen.

Gegenseitiges Kennenlernen

Um die Hürde des Ansprechens und Kennenlernens der vielen Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Professionen für Angehörige und Patient*innen zu senken, liegen auf den Stationen und Tageskliniken als Teil der Intervention Gegenseitiges Kennenlernen Steckbriefe der Mitarbeitenden aus. Zudem fertigt jede*r Patient*in zu Beginn der Therapie einen eigenen Steckbrief an und hinterlegt diesen für die Dauer seines Aufenthalts für andere Patient*innen. Oft fällt es so leichter ins Gespräch zu kommen und Gemeinsamkeiten zu entdecken.

Gemeinsame Erwartungen klären

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Der Klinikalttag ist oft geprägt von Regeln, Grenzen, Vorgaben und Konzepten. Mit der Intervention Gemeinsame  Erwartungen klären wurde der Blick darauf gelenkt, was jeder braucht, um eine erfolgreiche Therapie und erfolgreiche Zusammenarbeit zu ermöglichen. Diese wenigen positiv formulierten Erwartungen ersetzten fortan lange Regelkataloge und öffneten mit der Einladung darüber in den Austausch zu gehen und kooperativ Wege zu entwickeln.

Verständnisvolle Kommunikation

Die Mitarbeitenden sensibilisieren sich dafür, hinter die Wünschen und das Verhalten des Gegenübers zu sehen und die damit ausgedrückten Bedürfnisse zu erkennen. Dazu gehört Verständnis für die aktuelle Ausdrucksmöglichkeit des Menschen vor dem Hintergrund seiner aktuellen Situation. Nicht immer können alle Bitten erfüllt werden, jedoch kann durch eine respektvolle und höfliche Reaktion angemessen darauf reagiert und in Beziehung getreten werden. Daran erinnern wir uns gegenseitig im Kontakt und durch Einsatz unterschiedlicher Medien im Alltag (Postkarten mit speziellen Hinweisen und Botschaften, Screensaver etc.)

Positive Kommunikation

In jeder Schichtübergabe wird zusätzlich zu den Beobachtungen gezielt etwas Positives über jede*n Patient*in gesagt. Für problematisches Verhalten wird eine mögliche pädagogisch-psychologische Erklärung gefunden oder der gelungene Umgang mit der Herausforderung hervorgestellt. Wird mögliches Konfliktverhalten fachlich erklärt, fördert dies die Wertschätzung für die Patient*innen, die Arbeit der Kolleginnen sowie Kollegen und hat Einfluss auf das Mindset des Folgedienstes durch Verhinderung eines negativen Primings.

Deeskalierende Gesprächsführung

Das Behandlungsteam wird darin geschult, durch ruhige und bestimmte Kommunikation in entspannter Körperhaltung sowie bewusster Kontrolle über die eigene emotionale Reaktion, Einfluss auf angespannte Situation zu nehmen. Dabei stehen die Aspekte Absicherung aller Personen, sowie Klärung des Problems und gemeinsames Finden einer Auflösung im Mittelpunkt. Die Reflexion und Überprüfung eigener Grenzen und die Fähigkeit zur Einschätzung komplexer Situationen führt zu sicherem und gleichzeitig empathischem Auftreten.

Gemeinsame Unterstützungskonferenz

In einer gemeinsamen, überwiegend durch Patient*innen geführten und regelmäßigen Zusammenkunft soll der Blick auf vier wichtige Aspekte gelegt werden:

Danksagung: Für etwas, das in den letzten Tagen geschehen ist oder wo Unterstützung stattgefunden hat.
Nachrichten: Durch transparente und zeitnahe Information zum aktuellen Tag oder den kommenden Tagen sollen Unklarheiten und damit Unsicherheiten vermieden werden.
Vorschläge: Jede*r darf Ideen zur besseren Gestaltung des gemeinsamen Tages und des Zusammenlebens einbringen, z.B. für Ausflüge, gemeinsame Abende etc..
Wünsche und Angebote: Diese können an das Behandlungsteam und vor allem an andere Patient*innen formuliert werden, um sich gegenseitig im Alltag zu unterstützen, z.B. Begleitung bei einem Spaziergang., Erledigen eines Einkaufs usw..

Sicherheit bieten

Im Alltag kann es zu beunruhigenden Situationen (Streit, Verlegungen, …) auf der Station kommen. Die Intervention möchte den Patient*innen und den Behandler*innen die Möglichkeit geben gemeinsam im Nachhinein darüber zu sprechen, Fragen zu klären und Ängste abzubauen. Ziel ist, sich durch offene Gespräche sicher zu fühlen, Vorfälle zu verstehen und ggf. künftig zu vermeiden.

Methoden zur Beruhigung

Jeder Mensch kommt gelegentlich in Anspannung oder unter Stress. Die Intervention bietet verschiedene Techniken und Materialien zur Emotionsregulation an. Patient*innen können Strategien erlernen, um sich selbst in solchen Situationen helfen zu können. Dafür stehen Skillboxen mit verschiedenen Materialien, wie zum Beispiel Mandalas, Massagebällen oder Knete zur Verfügung. Es werden ebenfalls Methoden der Achtsamkeit und Entspannung geübt.

Skillbox_ASLevel_30-60Skillbox_ASLevel_60-80Skillbox_ASLevel_80-100

Skillboxen und Ihre Inhalte (Bild 1: Anspannungslevel 30-60 // Bild 2: Anspannungslevel 60-80 // Bild 3: Anspannungslevel 80-100)

Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten

"Schlechte“ Nachrichten können verunsichern. Ziel der Intervention ist daher, solche Nachrichten durch geeignete Gesprächssituationen und Beziehungsangebote schonend zu übermitteln und Zeit für ein entlastendes Gespräch anbieten zu können. Oft kann schon im Vorfeld im Team geschaut werden, wer den/die Patient*in dabei besonders begleiten kann.

Entlassnachrichten

Unsere Patient*innen erhalten am Ende ihrer Therapie die Möglichkeit, in einem Gästebuch für kommende Patient*innen einen ermutigenden und freundlichen Gruß zu hinterlassen. Die Erfahrung zeigt, dass bestärkende Worte von ehemaligen Patient*innen positiv aufgenommen werden und motivierend wirken können. Oft findet sich auch ein kreativer Ausdruck, um sich aus dem Therapiesetting zu verabschieden.Gaestebuch.jpg

Das Gästebuch der Station

Zur Vertiefung: Woher kommen eigentlich Konflikte?

Mit Safewards liegt ein 2012 im erwachsenenpsychiatrischen Bereich entwickeltes, milieutherapeutisches Konzept vor. Ursprünglich zum Verständnis der Entstehungsfaktoren von Gewalt und Aggression initiiert, entstand im Verlauf das Safewards-Basismodell (1). Dabei wurden 6 Faktoren als Ursprungsfaktoren der Konfliktentstehung herausgearbeitet:

  • Faktor 1: Die Mitarbeitenden
  • Faktor 2: Die Patient_innen
  • Faktor 3: Die „Ursprungsfaktoren“
  • Faktor 4: „Situationen“ (Krisen)
  • Faktor 5: „Reaktionen“ (Konflikte)
  • Faktor 6: „Eindämmung“ (Maßnahme)

Die Faktoren im Detail

Faktor 1: Die Mitarbeitenden
Überall, wo Menschen aufeinandertreffen, wirken auch deren individuelle Eigenschaften, Haltungen und Handlungsweisen sowie deren Art der Beziehungsgestaltung. Im Therapiesetting kann dies bewusst und unbewusst Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf von Konflikten nehmen.

Faktor 2: Die Patient*innen
Jede Verhaltensweise, die Patient*innen im Therapiesetting untereinander zeigen und der Umgang mit den Mitarbeitenden hat wechselseitig Einfluss auf den Verlauf von Konflikten und Anspannungssituationen.

Faktor 3: Die „Ursprungsfaktoren“
Diese Faktoren sind vielfältig und können sowohl durch die Patient*innen als auch die Mitarbeitenden wechselseitig beeinflusst werden. Einfluss auf Konfliktentstehung und -vermeidung kann unter anderem das Stationsteam nehmen (dessen Fachlichkeit und Kompetenz, das Ausmaß positiver Wertschätzung, die Beständigkeit etc.). Aber auch die Räumlichkeiten der Station (wie überschaubar sind sie, freundliche Farbgestaltung, Rückzugsmöglichkeiten) habe eine Wirkung. Die Dynamik der Patient*innengruppe spielt ebenso eine Rolle (wie gehen sie miteinander um, wie harmonisch ist die Gruppe), wie die Patient*innencharakteristika (die Art der Symptome und Erkrankungen). Ebenfalls Einfluss auf Anspannung können krankenhausexterne Faktoren nehmen (Termine in Ämtern und Behörden, Verpflichtungen wie Mietzahlung, Kinderbetreuung etc.). Nicht zuletzt sind wir auch innerhalb der Klinik mit regulatorischen Rahmenbedingungen konfrontiert, die das Zusammenleben beeinflussen, sich jedoch oft der eigenen Kontrolle entziehen und einengen können. Dazu zählen alle gesetzlichen Vorgaben, z.B. Unterbringung wie auch hausspezifische Regeln, z.B. Hygiene, Beschwerdemanagement oder Rahmenbedingungen für Spezialstationen.

Faktor 4: Die Situationen
Jede Alltagssituation (Visite, Ausgang; Besuch, Medikamentengabe…) kann Anlass für Unmut, Unverständnis oder Widerstand bieten.

Faktor 5: Die Reaktion
Wie jeder individuell in den verschiedenen Situationen reagiert, ob wütend, sich entziehend oder umsichtig, kann zur Vermeidung, Abmilderung oder zu Verstärkung von Anspannung beitragen.

Faktor 6: Die Maßnahme
Auch die angewandte Maßnahme, um auf Anspannung zu reagieren, z.B. Intensivbetreuung, Bedarfsmedikation etc. hat wiederum Einfluss auf den Verlauf des Konfliktes.