November 2017 - Eröffnung der Suchtambulanz
Mit einer Spezialambulanz für Suchterkrankungen spezialisieren wir unser Therapieangebot weiter. So gibt es ab Ende 2017 im Rahmen des Ambulanzbetriebs Gruppentherapien für zwei unterschiedliche Zielgruppen: suchterkrankte Minderjährige und deren Angehörige. Die neue Spezialambulanz ist der erste Schritt, ein für ganz Ostsachsen bestehendes Versorgungsdefizit zu reduzieren.
Bisher standen den Suchterkrankten und ihren Familien nach der stationären Akutversorgung lediglich Beratungsstellen zur Seite. Die ambulante Therapie beschränkte sich auf allgemeine kinder- und jugendpsychiatrische Praxen, die auf Suchtfragen nicht spezialisiert sind. Ohne eine der stationären Entgiftung folgende, langfristig angelegte, ambulante Therapie haben betroffene Jugendliche geringe Chancen, ihre Sucht dauerhaft zu besiegen. Die neue Spezialambulanz für Suchterkrankungen des Kindes- und Jugendalters wird darüber hinaus dem Auftrag und Anspruch der Hochschulmedizin gerecht, in dem sie Therapien nach dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnis anbietet und aktiv an deren Erprobung und Weiterentwicklung arbeitet.
„Der Ausbau des ambulanten Therapieangebots für psychisch kranke Kinder und Jugendliche durch das Universitätsklinikum Dresden ist die Antwort auf eine massive Unterversorgung in der Region. Entsprechend der Aufgabe einer hochschulmedizinischen Einrichtung geht es dabei auch darum, auf wissenschaftlicher Basis neue und effiziente Behandlungsformen zu entwickeln und zu überprüfen. Diesen Anspruch erfüllt die neue Suchtambulanz von Anfang an“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums. „Unsere Expertisen in der ambulanten Therapie von Kindern und Jugendlichen, sowie die in der Klinik seit vielen Jahren entwickelten innovativen Ansätze der Familientherapie bilden eine vielversprechende Basis für das neue Therapiemodell unserer neuen Spezialambulanz für Suchterkrankungen“, sagt Prof. Veit Roessner, Direktor unserer Klinik.
„Eine Abhängigkeit von illegalen Substanzen (Crystal Meth, Cannabis/Marihuana, Ecstasy, Heroin) oder legalen Drogen (Alkohol), sowie Spielsucht oder Internet- beziehungsweise Handysucht ist in der Mehrheit der Fälle eine sekundäre Erkrankung“, sagt Dr. Yulia Golub, ärztliche Leiterin der Spezialambulanz für Suchterkrankungen. Etwa zwei Drittel aller Jugendlichen, die unter einer Suchtstörung leiden, erfüllen auch die Kriterien einer anderen kinder- und jugendpsychiatrischen Störung, beispielsweise einer Störung des Sozialverhaltens, AD(H)S, Traumafolgestörung beziehungsweise affektiven Störungen wie Depressionen oder Ängste.
Deshalb, so die erfahrene Kinder- und Jugendpsychiaterin, ist die mehrmonatige stationäre Akuttherapie mit einer Entgiftung nur der erste, aber wichtige Schritt aus der Sucht: „Erst wenn ein Patient abstinent ist, können wir ihn wirklich therapieren“, sagt Dr. Yulia Golub. Die in der Spezialambulanz erfolgende Diagnose der psychischen Erkrankung und eine anschließende Therapie haben das Ziel, dieses die Sucht auslösende Leiden nachhaltig zu therapieren und so die Gefahr eines Rückfalls zu verringern.
Da immer jüngere Patienten zu behandeln sind, aber die meisten Therapieangebote für die Zielgruppe der Erwachsenen mit Suchtstörungen entwickelt und etabliert wurden, besteht ein großer Bedarf für entsprechende, altersgerechte Konzepte. Die neu an der Ambulanz startenden Gruppentherapien werden speziell für Jugendliche etabliert und im Rahmen eines Forschungsprojektes auf ihre Effizienz wissenschaftlich gemessen. Im Fokus stehen dabei vor allem dauerhafte Abstinenz und soziale (Re-)Integration. Jugendliche mit Abhängigkeitserkrankungen, aber auch deren Angehörige, erfahren in getrennten Gruppen, was die individuellen Anlässe für die Einnahme von Drogen sein können und welche Strukturen den Abhängigen helfen, abstinent zu leben. „Jugendliche, die Suchtstoffe konsumieren, haben oft verlernt, Probleme zu lösen. Sie wissen deshalb nicht, wie sie eine Krise ohne Drogen überstehen können“, erklärt Lisa Klamert, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Therapeutin der Suchtambulanz.
Bei den über zwei Monate angelegten Gruppentherapien, an denen jeweils maximal zehn Personen teilnehmen können, handelt es sich um eine komprimierte Version der sogenannten Matrix Therapie. Die Spezialambulanz für Suchterkrankungen fokussiert dabei auf die anfängliche Phase der Rückfallprävention, in der es um den Aufbau einer entsprechenden Motivation sowie den Erhalt der Abstinenz geht. Mit dieser Form der Gruppentherapie geht die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Deutschland neue Wege, in dem sie wissenschaftliche Erkenntnisse des in den USA erprobten „Matrix Modells für die Therapie stoffgebundener Suchtstörungen“ speziell für Jugendliche modifiziert und anwendet. Bei dem Matrix Model handelt es sich um ein umfassendes, verhaltenstherapeutisch ausgelegtes Therapieverfahren, das die gesamte Familie einbezieht und sowohl direkte, als auch indirekte Faktoren in Bezug auch eine Suchtstoffabhängigkeit berücksichtigt.
„Wir verbinden mit diesem Therapiemodell die Erwartung, den abhängigen Jugendlichen effizienter helfen zu können, weil es rundum alle relevanten Aspekte abdeckt. Es besteht aus der Kombination von Therapieeinheiten zur Rückfallprävention, dem Erlernen spezifischer Kompetenzen für die frühe Genesungsphase aber auch für eine langfristige erfolgreiche Abstinenz, und gleichzeitig auch Wissensvermittlung und Schulung der Familien“, erklärt Lisa Klamert weiter. Das Angebot richtet sich überwiegend an gerade erst abstinent gewordene Suchtpatienten oder an Abhängige, die mit der Abstinenz kämpfen. Die Therapie ist auf Teamarbeit und auf den respektvollen Umgang ausgelegt – Werte, die suchtabhängigen Patienten oft fehlen. Es geht hierbei nicht um Überwachung, sondern um eine Hilfe, die Kontrolle über das eigene Leben wieder zu erlangen, die eigenen Stärken und Schwächen kennen zu lernen und alte problematische Verhaltensmuster durch neue und effektive zu ersetzen. „Wir behandeln im Sinne einer ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ – die Therapie ist also das Gegenstück eines ‚erhobenen, drohenden Zeigefingers‘. Davon erwarten wir uns langfristig einen größeren Erfolg“, sagt Dr. Yulia Golub.
Kinder und Jugendliche sollten absolut abstinent leben
Die Erfahrungen aus der stationären und ambulanten Versorgung von Abhängigen dieser Altersgruppe zeigen, dass Betroffene nicht abrupt und zufällig süchtig werden, sondern dies im Umfeld mit anderen starken sozialen und psychischen Problemen geschieht. Trotzdem – so das Therapeutenteam der Suchtambulanz – gilt die Empfehlung, dass weder Jugendliche noch Kinder Alkohol oder gar illegale Drogen konsumieren sollten. Ein entscheidender Grund hierfür ist die noch nicht abgeschlossene Reifung des Gehirns, die durch Drogen gestört wird, dadurch zu unheilbaren kognitiven Defiziten führen kann und ein erhebliches Entwicklungsrisiko für Kinder und Jugendliche darstellt. Schulversagen, Lernversagen, Ausgrenzung und nicht altersgerechte persönliche Entwicklung der Jugendlichen.