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19. März 2012: Um zwei bis drei Grad reduzierte Körpertemperatur soll Folgen von Schlaganfällen verringern
19. März 2012

19. März 2012: Um zwei bis drei Grad reduzierte Körpertemperatur soll Folgen von Schlaganfällen verringern

EU gibt grünes Licht für den größten Versuch einer neuen und revolutionären Behandlung bei Schlaganfall / Klinikum an Studie und Ergebnisauswertung beteiligt

Das Dresdner Universitäts SchlaganfallCentrum (DUSC) des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus beteiligt sich mit der Klinik für Neurologie und der Abteilung Neuroradiologie an einer Studie, die die Wirksamkeit einer leichten Unterkühlung von Patienten nach akutem Schlaganfall testet. In dem europaweit angelegten Forschungsvorhaben soll wissenschaftlich geklärt werden, ob eine spätestens sechs Stunden nach dem Schlaganfall begonnene 24-stündige Absenkung der Körpertemperatur um zwei bis drei Grad Celsius dazu führt, die Schwere von Hirnschäden zu reduzieren. Allein für die wissenschaftliche Arbeit am Dresdner Uniklinikum werden von der EU hierfür rund 200.000 Euro zur Verfügung gestellt. Der Direktor des DUSC, Prof. Rüdiger von Kummer, koordiniert die Studie in Dresden und wertet darüber hinaus mit europäischen Fachkollegen die neuroradiologischen Bilder und Behandlungsverläufe aller 1.500 Patienten aus, die in den 60 teilnehmenden Universitäten und Kliniken aus 25 Ländern behandelt werden.

Die Unterkühlung des Gehirns innerhalb von sechs Stunden nach einem Schlaganfall hat sich in Pilotstudien als bemerkenswert wirksam bei der Rettung von Patienten und der Verringerung von Hirnschäden erwiesen. Die Europäische Union hat jetzt über das 7. Forschungsrahmenprogramm nahezu elf Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um eine klinische Studie der Phase III zu finanzieren. Die Studie hat einen bisher nicht dagewesenen Umfang mit 60 teilnehmenden Universitäten und Kliniken in 25 verschiedenen Ländern. Das Ziel ist, 1.500 Freiwillige, die einen Schlaganfall erlitten haben, mit milder Hypothermie zu behandeln. Wenn der erwartete Nutzen bestätigt wird, kann dieses Verfahren mit dem Potenzial, Hunderttausenden von Patienten jedes Jahr zu helfen, in ganz Europa eingeführt werden.

Alle 40 Sekunden erleidet ein Mensch einen Schlaganfall in Europa. Und dennoch stehen nur sehr begrenzte Behandlungsmethoden für den größten Verursacher von Todesfällen nach ischämischer Herzkrankheit zur Verfügung. Der Start von EUROHYP-1, einem klinischen Versuch der Phase III¸ geleitet vom Universitätsklinikum Erlangen und dem European Stroke Research Network for Hypothermia (EuroHYP) und finanziert von der Europäischen Kommission, wurde heute auf einer Pressekonferenz in Brüssel angekündigt. „Ein Projekt dieser Größenordnung wäre ohne einen paneuropäischen Ansatz nicht möglich – kein einziges Land oder eine kleine Gruppe von Mitgliedstaaten hat es bisher fertig gebracht, einen klinischen Versuch für therapeutische Unterkühlung bei Schlaganfall zu organisieren, obwohl ein breites Einvernehmen darüber besteht, dass dieses eine wichtige und viel versprechende Therapie ist“, sagt Dr. Malcolm Macleod, Lektor und Leiter der experimentellen Neurowissenschaften am Zentrum für klinische Hirnforschung an der Universität von Edinburgh, Vereinigtes Königreich, der eine von Chest Heart & Stroke Scotland finanzierte entscheidende Pilotstudie geleitet hat.

Kälte versetzt das Gehirn in Ruhezustand
Therapeutische Hypothermie beziehungsweise Unterkühlung wird bereits wirksam angewendet bei der Verminderung von ischämischem Hirnschaden infolge von Herzstillstand und Geburtsverletzungen. Das funktioniert durch die Herbeiführung eines Ruhezustands im Gehirn, wodurch der Bedarf an Sauerstoff minimiert und weiterer Schaden verhindert wird. Diese Technik wird auch mit großem Interesse von der Europäischen Weltraumorganisation ESA (European Space Agency) aufgrund der möglichen zukünftigen Anwendungen bei Langstrecken in der Raumfahrt verfolgt, für die ein Ruhezustand notwendige Voraussetzung ist.

„Schlaganfall ist eine der hauptsächlichsten Todesursachen”, sagt Dr. Macleod. „Jeden Tag sterben 1.000 Europäer an Schlaganfall – das ist ein Mensch alle 90 Sekunden – und etwa doppelt so viele Menschen überleben zwar, sind aber behindert. Unsere Schätzungen besagen, dass Hypothermie die Ergebnisse für mehr als 40.000 Europäer jährlich verbessern könnte.“ EuroHYP, in Zusammenarbeit mit den klinischen Versuchsabteilungen von Universitäten, darunter Dresden, Erlangen, Edinburgh, Kopenhagen, Malmö, Utrecht und Glasgow, ist die treibende Kraft hinter einem internationalen Konsortium, das die für diesen umfangreichen Versuch unerlässliche Expertise und die nötigen Synergien zusammengebracht hat.

„Die Herausforderung jetzt besteht darin, in relativ kurzer Zeit 1.500 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall für diesen Versuch zu gewinnen. Wir konzentrieren uns dabei auf Patienten, die zurzeit keinen Zugang zu einer wirklich effektiven Behandlung haben oder auf solche, die eine begrenzte Reaktion auf bestehende Standardinterventionen zeigen”, sagt Prof. Stefan Schwab, Professor und Ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland, der an vielen früheren Versuchen zur Behandlung von Schlaganfällen mit Hypothermie federführend beteiligt war und jetzt das EuroHYP-1-Konsortium leitet. Prof. Schwab ist überzeugt, dass „die auf aktuellen wissenschaftlichen Beweisen basierenden individuellen und wirtschaftlichen Vorteile, nämlich Todesfälle und Behinderungen in Verbindung mit Schlaganfall zu vermeiden, zeigen werden, dass sich der Versuch in weniger als einem Jahr bezahlt macht. Da die Bevölkerung altert, wird der in der Studie demonstrierte Nutzen von Unterkühlung den Boden für zukünftige Studien mit Hypothermie bereiten, wobei die Behandlungseignung auf eine noch größere Anzahl von Patienten ausgeweitet wird.“

Ergebnisse mit Daten aus Australien und den USA vergleichbar
EuroHYP-1 wird die gegenwärtig vorhandenen Erfahrungen über Unterkühlung, die von einigen ihrer Mitglieder in laufenden Phase II-Studien erworben wurden, auswerten und sie mit anderen, noch nicht mit dieser Technik vertrauten Zentren auch mit Hilfe der bahnbrechenden Techniken der Telemedizin teilen. EU-Nachbarstaaten wie die Türkei, Kroatien und Norwegen beteiligen sich ebenfalls an diesem Versuch, der im Hinblick auf eine globale Reichweite zusammen mit Wissenschaftlern aus den USA (P.D. Lyden, Los Angeles, CA) und Australien (G.A. Donnan, Melbourne, Victoria) geplant wurde, so dass Versuchsergebnisse in einer Meta-Analyse von individuellen Patientendaten kombiniert werden können. Donnan leitet ein australisches Konsortium, das beim NHMRC (National Health and Medical Research Council) um Finanzierung nachsucht, um die Teilnahme von australischen Zentren an EuroHYP-1 zu ermöglichen. Bei erwiesenem Nutzen könnte diese Behandlung sehr schnell weltweit übernommen werden.

Der Start dieses Versuchs ist ein Meilenstein für die Überlebenschancen von Schlaganfallpatienten. Und es wird erwartet, dadurch eine Transformation von aktueller Schlaganfallbehandlung weltweit herbeizuführen. Da die therapeutische Unterkühlung allein für die klinische Diagnose verwendet werden kann, würde dieses einen großen Einfluss auf die aktuelle Schlaganfallbehandlung in Entwicklungsländern haben, wo die Bildgebung des menschlichen Gehirns noch nicht Teil der Schlaganfallversorgung ist. Im Gegensatz zur Thrombolyse kann die therapeutische Unterkühlung vor Röntgenuntersuchungen eingeleitet werden. So kann die Unterkühlung bei Patienten mit akutem Schlaganfall von Sanitätern beim Erstkontakt, oder sobald der Patient in der Notfallstation aufgenommen wird, vorgenommen werden.

Bei einer breiten Anwendung der therapeutischen Unterkühlung in ganz Europa könnten rund 350 000 Patienten jährlich behandelt werden. Das heißt: jährlich 14.700 weniger Todesfälle und 25.000 mehr Patienten mit einem behinderungsfreien Leben nach einem Schlaganfall. Diese Zahlen könnten im Zuge weiterer Forschungen noch viel höher sein, beispielsweise mit Behandlungsbeginn durch die Rettungsmedizin. Therapeutische Unterkühlung würde die Lebensqualität von 298.000 Überlebenden im ersten Jahr nach ihrem Schlaganfall verbessern. Angesichts der erheblichen Kosten von Behinderungen durch Schlaganfall und den relativ bescheidenen Kosten der Intervention ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Behandlung tatsächlich kostensparend sein wird.

Forschungsergebnisse kommen künftig 350.000 Patienten pro Jahr zugute
Das EuroHYP-1-Konsortium bringt führende europäische Experten aus den Bereichen statistische Versuchsplanung und Analyse, Planung für Schlaganfallstudien, therapeutische Hypothermie, Gesundheitsökonomie und Studiendurchführung (Implementierung und Monitoring) sowie europäische Gruppen von Patienten und Familienanwälten zusammen. Neue für die Versuchsdurchführung notwendige Technologien und Prozesse in Bereichen wie Unterkühlung, Röntgen bzw. Bildgebung, Biomarker, Ultraschallüberwachung und Telemedizin werden von an der Forschung beteiligten KMU entwickelt, von denen signifikante Impulse für technologische Innovationen und F&E-Entwicklungsmöglichkeiten erwartet werden.

Das EuroHYP-1-Forschungsprogramm basiert auf der engen Zusammenarbeit zwischen der führenden europäischen und globalen Wissenschaftsgemeinschaft sowie den europäischen Netzwerken von Patienten und Anwälten: European Stroke Organisation (ESO), European Stroke Network (ESN), Stroke Alliance for Europe (SAFE), World Stroke Organisation (WSO), European Federation of Neurological Societies (EFNS), Society for Cryobiology (SfC).

Zusätzlich zur von der Europäischen Kommission erhaltenen Beihilfe ist EuroHYP-1 auf der Suche nach Finanzierung aus öffentlichen und privaten Quellen – einschließlich der breiten Öffentlichkeit, um die Forschung in weiteren Ländern in Europa durchzuführen, beispielsweise in Malta, Portugal, Slowenien und der Schweiz. EuroHYP-1 möchte zwar das Engagement und die Beteiligung in allen europäischen Ländern erreichen. Dennoch ist eine zusätzliche Finanzierung notwendig, um die Forschungsintensität durch Substudien zu Biomarkern und Ultraschalltechniken auszuweiten. Diese Substudien werden durchgeführt werden, um den Schutzmechanismus von therapeutischen Unterkühlungsmaßnahmen besser zu verstehen.

Kontakt
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Dresdner Universitäts SchlaganfallCentrum (DUSC)
Direktor: Prof. Rüdiger von Kummer
Tel. 0351 458-26 60
E-Mail: ruediger.vonkummer@uniklinikum-dresden.de
www.uniklinikum-dresden.de/dusc