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18. August 2010

Mit Tagebuch Trauma der Bombardierung bewältigen

18. August 2010: Auch 65 Jahre nach Kriegsende leiden viele Betroffene unter den Erinnerungen / Wissenschaftler aus Dresden, Greifswald und Berlin suchen Teilnehmer für Therapie

Um Menschen zu helfen, die aufgrund ihrer Erlebnisse während des 2. Weltkrieges an einem Trauma leiden, erproben Wissenschaftler der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus und des Behandlungszentrums für Folteropfer Berlin e.V. eine Schreibtherapie, die über das dazu eingerichtete Portal „Lebenstagebuch“ erfolgt. Diese kostenlose online-Therapie richtet sich vor allem an Menschen, die sich auch heute noch unfreiwillig an die Ereignisse der letzten Monate, Wochen und Tage des 2. Weltkrieges erinnern. Das können Albträume oder spontan vor den Augen auftauchende Bilder sein, die psychische oder auch psychische Symptome hervorrufen. Die Schreibtherapie soll die Erinnerungen weder vergessen machen noch verdrängen: Damit das damals Erlebte das gegenwärtige Denken und Fühlen weniger beeinflusst, wird den Erinnerungen daran ein neuer Platz in der Biographie der Traumatisierten zugeordnet. In der Therapie schreiben die Betroffenen elf Texte, auf die sie ausführliche Rückmeldungen durch Traumaexperten erhalten. In Ausnahmefällen ist es auch möglich, die Schreibtherapie per Brief zu absolvieren.
Die Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 ist für alle, die Dresden in Flammen aufgehen sahen, unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Auch 65 Jahre nach der Bombardierung verfolgen viele Menschen die Bilder von brennenden Ruinen und verkohlten Leichen sowie Erinnerungen an den beißenden Brandgeruch. Ein großer Teil der damaligen Kriegskinder, die die Bombardierungen erlebt haben, leidet auch im hohen Alter an den psychischen Folgen der unverarbeiteten Traumata. Die schrecklichen Bilder der Zerstörung kommen unerwartet und unkontrolliert. Schlafstörungen und Alpträume sind häufige Begleiter. Mit aller Kraft versuchen die Betroffenen ihre Erinnerungen an diese belastenden Erfahrungen zu vermeiden. Diese Kombination von Symptomen lässt sich unter dem Begriff Posttraumatische Belastungsstörung zusammenfassen. Die Traumatisierten leiden beispielsweise unter dem Wiedererleben des Geschehens in Form von unfreiwilligem, mit Ängsten einhergehendem Erinnern des traumatischen Ereignisses. Häufig vermeiden sie auch Dinge oder Situationen, die ihnen das Trauma ins Gedächtnis rufen. Auf die ständigen, belastenden Erinnerungen reagiert der Körper der Betroffenen oft auch mit Schreckhaftigkeit, erhöhter Reizbarkeit, Konzentrations- oder Schlafstörungen. Ebenso typisch sind Schuld- und Schamgefühle, Angst und Depressionen. Auch das intensive Grübeln über das Ereignis selbst und Überlegungen, wie es hätte verhindert werden können, sind häufige Folgen.
Einen neuen Weg des Umgangs mit dem Trauma finden
Etwa 14 Millionen Menschen leben heute in Deutschland, die ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg durchlebt haben. Studien gehen davon aus, dass etwa jeder Dritte von ihnen auch sechs Jahrzehnte nach Kriegsende noch unter den Belastungen der damaligen Zeit leidet. Es gibt mehrere Gründe, warum in dieser Generation die Erinnerungen heute einen größeren Raum einnehmen: „Im heutigen gesellschaftlichen Klima dürfen sich die Menschen diese Erlebnisse wieder vergegenwärtigen und sie auch aussprechen“, sagt PD Dr. Hendrik Berth von der Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Dresdner Universitätsklinikum. Hinzu kommt, dass es in der Lebensphase des Wiederaufbaus und Berufslebens wenig Platz für Erinnerungen gab. In der Phase des Ruhestands gewinnen sie nun an Bedeutung.
In der Schreibtherapie geht es darum, die traumatische Erfahrung in die Biographie einbetten zu können und einen anderen, neuen Weg des Umgangs mit dem Trauma zu finden. Die Teilnehmer der Therapie erhalten einen Zugang zu ihren Erinnerungen, in dem sie das Unfassbare und Unbeschreibliche der Dresdner Bombennacht oder anderer traumatisierender Kriegsereignisse Nacht in Worte fassen und mit Therapeuten aufarbeiten können. Das schafft den Rahmen dafür, ohne Angst an die Bombardierung zu denken und darüber zu reden. „Die Therapie tat mir sehr gut. Ich hatte die Möglichkeit. den Verlauf meines Lebens anzuschauen – vor allem die Bombennacht, die Ängste und die Sorgen, die mir das Leben erschwerten. Mein Vertrauen zu mir und meinen Möglichkeiten ist durch die Therapie größer geworden. Nun fühle ich mich befreit“, schreibt einer der Teilnehmer rückblickend.
Das Internet als Kommunikationsplattform für eine Therapie zu nutzen, hat sich in den vergangenen Jahren als äußerst wirkungsvoll für die Behandlung psychischer Störungen erwiesen. In den Niederlanden ist diese Behandlungsform bereits in die gesundheitliche Regelversorgung aufgenommen worden. Um die Akzeptanz und Wirksamkeit der internetbasierten Schreibtherapie für posttraumatischen Stress bei Kindern des 2. Weltkrieges zu untersuchen, initiierten die Behandlungszentren für Folteropfer in Greifswald und Berlin diese Studie gemeinsam mit PD Dr. Hendrik Berth. Der Dresdner Wissenschaftler wertet im Rahmen des Projekts den Ablauf der Therapie aus. Dabei ist zu jedem Zeitpunkt die Vertraulichkeit der Daten strikt gewährleistet.
Teilnahmevoraussetzungen und Kontakt für Betroffene
Zur Schreibtherapie können sich Personen anmelden die über 65 Jahre alt sind und noch heute unter den traumatischen Erlebnissen des Krieges leiden. Die Therapie ist kostenlos und sowohl per E-Mail als auch in Ausnahmefällen per Brief möglich. Informationen zur Schreibtherapie und zur Anmeldung sind auf www.lebenstagebuch.de nachzulesen. Telefonische Auskünfte sind unter der Nummer 030 30390632 möglich.

Kontakte für Journalisten
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
PD Dr. Hendrik Berth
Tel.: 0351 458-4028
E-Mail: hendrik.berth@uniklinikum-dresden.de
Internet: www.uniklinikum-dresden.de
bzfo-Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin e.V.
Maria Böttche
Tel.: 030 30390632
E-Mail: maria.boettche@lebenstagebuch.de
Internet: http://www.lebenstagebuch.de