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Tissue Engineering

1. Einleitung

"Tissue Engineering ist ein interdisziplinäres Arbeitsgebiet, das Prinzipien aus dem Ingenieurwesen und der Biowissenschaft anwendet, um biologische Ersatzstoffe zu entwickeln, die die Gewebefunktion wiederherstellen, erhalten oder verbessern." (R. Langer et al., Science 260, 920-926, 1996). Voraussetzung für die derzeit dynamische Entwicklung dieses Gebietes sind die enge Zusammenarbeit und der Technologietransfer zwischen klinischen Forschern, Grundlagenwissenschaftlern und Industrie. Die Arbeitsgruppe „Tissue Engineering“ unter der Leitung von Prof. Günter Lauer hat jahrelange Klinik- und Forschungserfahrung auf dem Gebiet des Gewebeersatzes im Kiefer-Gesichtsbereich. Schwerpunkte sind die Kultivierung von Mundschleimhaut-, Bindegewebs- und Knochenzellen sowie von Stammzellen. Durch Kombination der gezüchteten Zellen mit unterschiedlichen industriell hergestellten Biomaterialien werden Transplantate für den Einsatz im Kiefer-Gesichtsbereich entwickelt, verbessert und klinisch eingesetzt. Hauptanwendungsgebiet ist die Tumorchirurgie, wo nach Entfernung der bösartigen Neubildung unterschiedliche Gewebe (Mundschleimhaut und Kieferknochen)  ersetzt werden müssen, um Ästhetik und Funktionen wie Kauen, Schlucken und Sprechen wiederherzustellen. Ein weiteres Einsatzgebiet ist der Gewebeersatz im Rahmen der präprothetischen Chirurgie. Mundschleimhauttransplantate werden benötigt, um den Sitz von herausnehmbarem Zahnersatz zu verbessern und um die hygienische Situation um Zahnimplantate herum günstiger zu gestalten und deren frühzeitigen Verlust zu verhindern. Knochenaufbauten sind erforderlich, wenn Zahnimplantate in stark abgebauten Ober- und Unterkieferknochen eingebracht werden sollen. Üblicherweise wird patienteneigenes Gewebe in Form von freien Haut-, Schleimhaut- und Knochentransplantaten oder Fern- und Nahlappenplastiken zur Defektdeckung verwendet. Nachteile sind ein zweiter Eingriffsort, eine unzureichende Menge an Gewebe und ein Hebedefekt in der Spenderregion. Mit Hilfe des Tissue Engineering ist es möglich, beliebig große Transplantate ohne die genannten Nachteile herzustellen, was die Lebensqualität der Patienten entscheidend verbessert.

2. Mundschleimhauttransplantate

Defekte im Bereich der Mundschleimhaut werden üblicherweise mit Haut- oder Schleimhauttransplantaten gedeckt. Diese sind jedoch häufig nicht in ausreichender Menge verfügbar (Schleimhaut) oder entsprechen nicht den besonderen Anforderungen in der Mundhöhle  (Haut, Spalthaut). Des Weiteren ist die Entnahme von autogenen Transplantaten immer mit einem Hebedefekt verbunden. Zur Herstellung von Tissue Engineering-Schleimhaut ist nur eine kleine Biopsie erforderlich. Aus dieser werden dann Gingivafibroblasten und Gingivakeratinozyten, den typischen Zellen normaler Mundschleimhaut, angezüchtet, vermehrt und auf ein handelsübliches Biomaterial (Schwamm oder Folie) ausgesät (Abb. 1). Nach insgesamt 4 Wochen stehen dann die Transplantate für die Anwendung am Patienten zur Verfügung. Histologische und klinische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Transplantate wie Mundschleimhaut aufgebaut sind und sich kaum von der umgebenden normalen Schleimhaut unterscheiden. Bevor die Transplantate routinemäßig klinisch eingesetzt werden können, sind noch Verbesserungen notwendig, um einen stabilen Verbund beider Zellarten mit dem Biomaterial zu erzielen.

3. Knochentransplantate

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Herstellung und Weiterentwicklung von Knochentransplantaten. Ziel ist auch hier, den Hebedefekt zu vermeiden, indem die Herstellung der Transplantate in das Zelllabor verlagert wird. Aus einer kleinen Knochenbiopsie 6-8 Wochen vor der geplanten Operation werden Osteoblasten angezüchtet und auf ein mineralisches oder nicht mineralisches Biomaterial ausgesät (Abb. 2). Bisher konnten derartige Transplantate erfolgreich zum Kieferknochenaufbau, zur Füllung von Knochenhöhlen nach Zystenentfernung und zur Kieferspaltosteoplastik bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten klinisch eingesetzt werden. Anhand von histologischen und röntgenologischen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass sich funktionsfähiger Knochen am Ort der Transplantation gebildet hat. Im Vergleich zum Standard, der Transplantation von autogenem Knochen, bringen die mittels Tissue Engineering hergestellten Transplantate ähnlich gute Ergebnisse. Eine Anwendung in der täglichen Praxis ist derzeit noch nicht möglich.

4. Forschung

Verbunden mit der Entwicklung von Tissue Engineering-Transplantaten stellt sich die Frage nach deren Lagerung und Konservierung. In Kooperation mit dem Institut für Luft- und Kältetechnik gGmbH Dresden (ILK) und der edecto GmbH Dresden wurden Protokolle zur Kryokonservierung von Mundschleimhauttransplantaten  bestehend aus Keratinozyten und Fibroblasten entwickelt. Entscheidend ist neben der Abkühl- und Auftaurate auch ein geeignetes Kryoprotektivum, um die Vitalität der Zellen und die Integrität des Transplantats zu erhalten. Ein Wachstum der Zellen nach der Kryokonservierung wurde sowohl in vitro als auch im Tiermodell nachgewiesen.  Zur Besiedlung der Biomaterialien zur Herstellung von Knochen können neben Osteoblasten auch Stammzellen aus dem Knochenmark eingesetzt werden. Nach der Isolation der mesenchymalen Stammzellen werden diese in vitro vermehrt, auf eine Leitschiene gesetzt und zu Osteoblasten differenziert, die die Fähigkeit zur Bildung von Knochenmatrix haben. Zur Herstellung künstlicher Gewebe sind diese Zellen sehr gut geeignet, da sie nahezu unbegrenzt vermehrt werden können und so in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Zur klinischen Testung solcher Transplantate wurde ein Defektmodell im Oberkiefer der Ratte und am Oberschenkelknochen der Maus entwickelt. In Forschungsprojekten mit dem Center for Regenerative Therapies Dresden (CRTD) werden Transplantate bestehend aus unterschiedlichen Biomaterialien und unterschiedlich differenzierten Zellen hinsichtlich der Knochenregeneration untersucht.

 Tissue Engineering 1

Abb. 1 Mundschleimhautzellen auf einem Vicryl-Netz

Tissue Engineering 2

Abb. 2 Knochenzellen in einem Kollagenschwamm

Literatur:

1. Lauer G, Drews M, Hübner U. Isolierung und Kultivierung humaner Osteoblasten aus cortico-lamellären Knochen der Maxilla. Osteologie 8 (1999), 179-185.

2. Lauer G, Schimming R, Frankenschmidt A. Intraoral wound closure with tissue engineered mucosa - New perspectives for urethra reconstruction. Plast Reconstr Surg 107 (2001), 25-33.
 
3. Pradel W, Blank A, Lauer G. Klinischer Einsatz von im Tissue Engineering hergestellten Gingivakeratinozyten-Gingivafibroblasten-Konstrukten als Weichgewebsersatz. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift  57 (2002), 710-712.

4. Pradel W, Eckelt U, Lauer G. Bone Regeneration after Enucleation of Mandibular Cysts: Comparing Autogenous Grafts from Tissue Engineered Bone and Iliac Bone. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 101 (2006), 285-290

5. Spörl G, Mai R, Klinger E, Gedrange T, Lauer G. Cryopreserved tissue engineered mucosa. Folia Histochem Cytobiol 46 (4) (2008), 541-544.