Aktuelles
02.04.2021
Rück- und Ausblicke – Die Autismusambulanz 2020/2021
Nachdem der Öffentlichkeitstag unserer Autismusambulanz in 2020 aufgrund der Coronapandemie entfiel, hofften wir doch das ganze Jahr über, Sie in 2021 vielleicht wieder bei uns begrüßen zu dürfen. Leider hält uns das Virus nach wie vor fest im Griff.
Dennoch ist viel passiert und wir möchten anlässlich des Weltautismustages am 02.04.2021, wenn auch leider nicht persönlich, doch ein wenig aus unserer Autismusambulanz berichten.
Unsere Patienten (und deren Eltern) melden sich zu Wort – Autismus in Coronazeiten
Schüler, 18 Jahre, 11. Klasse einer Fachoberschule schreibt: Eine bessere Form der Beschulung als Homeschooling mit Schulbegleiterin gibt es für mich als Autisten nicht. Ich profitiere von der ruhigen Arbeitsatmosphäre. Keine Geräusche, kein Stress wegen unvorhersehbarer Aktionen oder zu anstrengender sozialer Nähe. Meine Kräfte kann ich viel besser einteilen und gänzlich auf das Erfassen inhaltlicher Informationen lenken. Das Halten der Sozialkontakte in der Schule schlaucht mich immens, so dass ich am Nachmittag oft meine Ruhe brauche. Durch die fehlende schulische Interaktion mit Mitschülern und Lehrern sind meine Ressourcen am Nachmittag nicht gänzlich erschöpft, so dass ich mich leichter auf Freizeitkontakte einlassen kann. Die sind für mich viel wichtiger als Schulkameraden. Schließlich teilen wir gemeinsame Interessen und Erlebnisse. |
Ein 22-Jähriger schreibt: Von Vorteil ist für mich, dass ich seltener mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren muss. Ich fühle mich unter unbekannten Leuten nicht wohl. Von Nachteil ist für mich, dass es schwieriger geworden ist einen Arbeitsplatz zu bekommen. Obwohl ich manchmal gerne allein bin, bin ich durch die Infektionsschutzmaßnahmen vereinsamt und sehne mich nach einer Rückkehr zur Normalität. Ich würde mich gerne mal wieder mit Freunden und Bekannten treffen, vielleicht auch neue Leute kennenlernen. Gleichzeitig kann es nervig sein, mit der Familie rund um die Uhr und über Wochen hinweg im selben Haus zu sein, da für Eltern und Geschwister ebenfalls viele Möglichkeiten des Ausgangs weggefallen sind. |
Eine Mutter schreibt: Autismus ist wie Leben in ständiger Ausnahmesituation. Die Corona-Ausnahmesituation kommt da obendrauf. Unser Sohn ist Student: Er hatte vor Corona sein wohnortfernes Studium und sein tägliches Leben ganz akzeptabel gemeistert. Zu unser aller Freude! Dann kam der Stresstest. Den hat er eher nicht bestanden. Durch Corona war die Uni zu. Studium nur noch online. Keine Kommilitonen. Keine Struktur. Keine Fragen an die Dozenten… Zurück bei den Eltern. Schien erst sicherer, war aber gar nicht gut, denn Kinderzeit war vorbei. Er kam mehrfach in heikle Situationen, aus denen wir jeweils versuchten, ihm rauszuhelfen. Wahrscheinlich wird eine davon sein Leben langfristig beinträchtigen… Corona ist für alle anstrengend. Aber wir Eltern resümieren, für junge Erwachsen mit ASS bedeutet das enorme zusätzliche Herausforderungen zu denen, mit welchen ein Asperger eh schon kämpft. Für uns Eltern war der Kampf auch wieder zurück. Anders. Als Lotse haben wir „ausgedient“. Nur Hilfe in der Not wird noch angenommen. So stolpert er nunmehr in sein Leben und wir hoffen, er findet irgendwann wieder festen Tritt… |
Ein 61-Jähriger schreibt: Für mich ist die Coronazeit die schönste Zeit seit der Kindheit. Weniger Straßen- und Bahnlärm, saubere Luft, seit vielen Jahren wieder ein blauer Himmel, keine fahrenden Musikboxen nachts auf den Straßen. In der Firma kein Händeschütteln, keine nervigen Pflichtveranstaltungen. In der Stadt keine Abartigkeiten der Zivilisation, wie Diskos, keine doofen Feste und Sportveranstaltungen, deren Lärm bis zu mir an den Waldrand dringt. Bei solchen Veranstaltungen wird meistens nur zum übermäßigen Alkoholkonsum animiert. Das vergangene Silvesterfest fast ohne Knallerei, war auch wie in der Kindheit in der DDR. Die Leute hatten damals nicht viel Geld oder sie wollten das Geld für sinnvollere Dinge ausgeben. Als Kind wäre Schule von zu Hause der absolute Traum gewesen, kein Sportunterricht, kein Mobbing, keine störenden Mitschüler. Wir brauchen keinen Klimastreik mehr. Ein Virus hat mehr erreicht als Greta in Jahren. Der Virus macht mir keine Angst. Die Menschheit hat über eine Million Jahre ein sehr gutes Immunsystem entwickelt. Die Medien sollten weniger Angst verbreiten, Hinweise zu einer gesunden Lebensweise wären sinnvoller. Hunger ist auf der Welt ein viel größeres Problem, das einfach zu lösen wäre, wenn die wenigen sehr Reichen etwas abgeben würden. Schade, dass es dieses Jahr zu Ostern nicht so ruhig werden wird. Mal sehen, ob ich in Ruhe im Garten sitzen und den Vögeln lauschen kann. Aber ich bin guter Hoffnung, dass es nach Ostern wieder einen verschärften Lockdown, hoffentlich bis Weihnachten, oder für immer, gibt. Es wäre ein großer Gewinn an Lebensqualität. |
Eine Mutter schreibt: Was Corona macht ... Corona macht, dass ich Volker infolge des Betretungsverbots über etliche Wochen hinweg nicht sehen durfte. Corona macht, dass ich mich nun um beide Söhne intensiver sorge, da auch Lars vom ganzen Pandemie-Geschehen stark mitgenommen ist. Corona macht, dass Volkers Welt noch kleiner wird, als sie ohnehin schon ist. Corona macht, dass ich mich frage, ob Volker nicht langsam „tüttelig“ wird bei so viel Werkstatt-Abstinenz. Corona macht, dass ich Mann wie Sohn gleichermaßen auf gesundheitliche Risikofaktoren prüfe: Wie wirken sich z.B. 3 Monate Neugeborenen-Intensivtherapie auf einen potenziellen Krankheitsverlauf beim Erwachsenen aus? Corona macht, dass ich zwar froh bin, Volker in seiner WG gut betreut zu wissen, aber zugleich befürchte, auf einem Teil der zusätzlichen Betreuungskosten sitzen zu bleiben. Corona macht, dass Volker plötzlich Anfälle von starkem Weinen bekommt, weil er Angst hat, dass jemand aus dem engeren Familienkreis unerwartet versterben könnte. Corona macht, dass Volker stärker echolaliert und seinem Repertoire den Begriff MUNDSCHUTZ-SUCHT hinzugefügt hat. Corona macht, dass mein Mann mit Lars jeden Tag eine Stunde spazierengeht, um ihn einigermaßen psychisch stabil zu halten. - Indes tut das beiden Home-Office-Arbeitern gut ... Corona macht, dass ich einmal mehr froh bin, mich vor 20 Jahren zum gemeinsamen Joggen habe anstiften lassen. Das hat uns beide gesundheitlich stabilisiert. Corona macht, dass ich nicht nur Kino oder Verreisen, sondern auch unsere Eltern-Stammtisch-Runde sehr vermisse! |
Überarbeitung und Ergänzung unseres Weiterbildungsangebots
Seit Jahren bieten wir verschiedene Fortbildungen für Eltern, professionelle Bezugspersonen oder ganz allgemein am Thema ASS Interessierte an.
Die aktuellen Bedingungen rund um das Thema Corona/Covid-19 hatten in 2020 zu einigen Ausfällen und Veränderungen im Ablauf von Veranstaltungen geführt. Damit wir in diesem Jahr wieder ein vollumfängliches Weiterbildungsangebot für Sie ermöglichen können, haben wir unser Programm angepasst und erweitert.
Neben der Durchführung von (individuellen) Aufbaukursen als Inhouse-Schulungen in Ihrer Institution arbeiten wir auch intensiv an einer Ausweichmöglichkeit durch Online-Veranstaltungen für Termine, die nicht als Präsenzveranstaltung stattfinden können. Diese Onlinevarianten möchten wir ggf. auch als standardmäßiges Angebot in unseren Fortbildungskanon übernehmen.
Wir hoffen, diese Form der Wissensvermittlung entspricht unseren (und Ihren) Erwartungen und bestätigt die guten Erfahrungen, die wir bereits im letzten Jahr im Rahmen größerer Veranstaltungen auf diesem Wege machen konnten.
Unsere Angebote – Bald auch in Leichter Sprache
Unsere Autismusambulanz bietet diverse Informationsmaterialien zum diagnostischen und therapeutischen Angebot, zu Eingliederungshilfen aber auch zum Störungsbild ASS im Allgemeinen an. Im Zuge der angestrebten Barrierefreiheit plant unsere Klinik gemeinsam mit VERSO Dresden eine Überführung des Informationsmaterials in Leichte Sprache.
Leichte Sprache ist eine Form der einfachen Sprache, die auf festgelegten Regeln beruht und darauf abzielt, besonders leicht verständlich zu sein. Wir hoffen, durch eine „Übersetzung“ der bereits existierenden Materialien, Interessierte besser informieren zu können und mehr Menschen zu erreichen, die von unseren Angeboten profitieren können.
Das Projekt steckt aktuell noch in den Kinderschuhen, aber vielleicht können sich die Ergebnisse ja in 2022 sehen lassen.
Neugestaltung des Flurs und des Wartebereichs
Dank der Unterstützung von Frau Britta Fahr (Kunst- und LOM-Therapeutin) und den Dresdner Verkehrsbetrieben freuten sich unsere Patientinnen und Patienten (und wir!) zu Beginn des Jahres sehr über die Neugestaltung des Flurs unserer Autismusambulanz.
Nach der mehrmonatigen Entwurfs- und Planungsphase, in welcher Frau Fahr ein neues Konzept entwickelte, hieß es dann einen 50 Meter langen Flur in eine Umgebung zu verwandeln, die unseren Patientinnen und Patienten den Besuch bei uns vereinfacht und Ihnen Orientierung bietet.
So wurden einzelne Bereiche farblich markiert und der lange, beinahe tunnelartige Gang visuell besser unterteilt. Es gibt Magnettafeln für Neuigkeiten rundum Vereine und Angebote anderer Einrichtungen, kleine Bereiche, die zum Verweilen und Spielen einladen und auch die Kontaktecke hat wieder ihren Platz gefunden.
Die Dresdner Verkehrsbetriebe ergänzten dann die gerade bei unseren Patientinnen und Patienten so beliebten, ganz DVB-typischen Extras: Ein Haltestellenschild, das auf den direkten Weg zur Anmeldung weist, eine Puzzlespielwand mit dem Maskottchen Leo, ein echter Fahrkartenentwerter, ein Haltegriff mit Stoppknopf und ein Stück des gelben Stoffs der Bus- und Bahnsitze lädt zum Anfassen und Fühlen ein.
Nun soll auch der Wartebereich eine Umgestaltung erfahren, bei welcher wir tatkräftig durch den Elternverein unterstützt werden. Vom Ergebnis werden wir zu gegebener Zeit sehr gern berichten, vielleicht kann man sich die Neugestaltung aber auch in 2022 ganz persönlich anschauen.
Forschung – Ein neues Projekt für Erwachsene mit ASS startet bald
Als Teil des Universitätsklinikums Dresden ist unsere Klinik natürlich auch in der Forschung tätig und der Bereich ASS wird von uns zunehmend wissenschaftlich untersucht. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Studien für Kinder und Jugendliche, doch nun möchten wir auch unseren erwachsenen Patientinnen und Patienten die Möglichkeit bieten, an einer innovativen neuen Behandlungsmethode teilzuhaben, welche wir gleichzeitig wissenschaftlich evaluieren.
Bisher gibt es in Deutschland keine speziellen Therapie- oder Trainingsangebote für Erwachsene mit hochfunktionalem Autismus, welche gezielt auf die relevanten Bereiche und Schwierigkeiten einer Autismus-Spektrum-Störung eingehen und wissenschaftlich überprüft wurden. Mit unserer FasterScott-Studie wollen wir die Versorgung von Autist*innen verbessern. Unser Ziel ist die Etablierung einer Therapie und eines Trainings, die gut zugänglich und langfristig wirksam sind. Hierbei wird es die Möglichkeit zu einer Gruppentherapie sowie einem Onlinetraining geben, welche wir wissenschaftlich begleiten und deren Erfolg wir evaluieren. Mithilfe der Ergebnisse hoffen wir neue Therapieangebote entwickeln bzw. bereits bestehende optimieren zu können, um so die Angebote für Erwachsene mit ASS zu erweitern und zu verbessern.
Falls Sie mehr über unser Projekt wissen möchten, gibt es hier und hier weiterführende Informationen.
Ein Aufruf sei an dieser Stelle erlaubt: Wir freuen uns über Anfragen zum Projekt per Telefon (0351 – 458 7168) oder per E-Mail an KJPForschung
Es war ein ereignisreiches aber auch erfolgreiches Jahr und wir hoffen auf ein ebensolches in 2021.
Herzliche Grüße,
Ihre Autismusambulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
17.05.2017
Die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie im Verbund zur Autismus-Forschung (ASD-Netz)
Im Rahmen des „Forschungsnetzes zu psychischen Erkrankungen“ etabliert sich derzeit der Forschungsverbund ASD-Netz (Autism Spectrum Disorder across the lifespan: From a better etiological understanding, through valid diagnosis, to more effective health care, siehe auch http://www.asd-net.de, unter federführender Leitung von Prof. Dr. Inge Kamp-Becker aus Marburg. Die Partner des ASD-Netzes beschäftigen sich mit Diagnostik (3 Projekte), Therapie (3 Projekte) und Gesundheitsversorgung (1 Projekt) im Bereich der Autismus-Spektrum-Störung (engl. Autism spectrum disorders, ASD).
Prof. Dr. Veit Rößner, Direktor unserer Klinik, leitet gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Dr. Nicole Wolff das Projekt zur Entwicklung und Evaluation eines optimierten Screening-Instruments und die Erprobung neuer Therapiemöglichkeiten für den Bereich KJP. Das neue Screening-Instrument zielt nicht nur auf die zuverlässige ASD-Diagnose bei Kindern und Jugendlichen, sondern soll zudem dazu beitragen, Kinder und Jugendliche mit ASD von Patienten mit anderen komplexen Verhaltensstörungen wie ADHS, Sprachstörungen, geistiger Behinderung oder Angststörungen zu unterscheiden. Weiterhin sind die Dresdner Forscher gemeinsam mit Prof. Dr. Luise Poustka vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim/ Medizinische Universität Wien am Therapieprojekt des ASD Net beteiligt. Hier wird untersucht, welchen Effekt das Neuropeptid Oxytocin auf den Therapieerfolg eines sozialen Kompetenztrainings bei Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung hat.
Prof. Dr. Stefan Ehrlich, leitender Oberarzt und Bereichsleiter der „Angewandten Entwicklungsneurowissenschaften“, leitet gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Dipl.-Psych. Joseph King und Stefan Repplinger, M.SC. und in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Peter Kirsch vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim den 2. Teil des Therapieprojektes. Neben klinischen Erfolgsparametern, wird hier mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) untersucht, wie die Kombination eines völlig neuartigen medikamentösen Therapieansatzes (Oxytocin) mit psychotherapeutischer Behandlung das Denken und Verhalten über neurobiologische Pfade moduliert.
Für unser Therapieprojekt sind wir immer auf der Suche nach Jungen im Alter von 12-17 Jahren mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Die Teilnahme wird mit einer Aufwandsentschädigung von 100,-€ honoriert.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Veit Rößner, Dr. Katja Albertowski, Prof. Dr. Stefan Ehrlich, Dr. Joseph King, Dr. Nicole Wolff, M.Sc. Julius Steding
Forschungsgruppe: AG Rößner, AG Ehrlich